2020 gibt’s was zu feiern: 40 Jahre aktiv Radfahren. Das Jubiläum soll aber keine Rück- sondern eine Vorschau sein. Und Antworten geben: Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Welche Innovationen erwarten uns? Wie wird das Fahrrad von morgen sein? Viele Städte sind ungesund für den Menschen, weil sie den motorisierten Verkehr bevorzugen und damit für schlechte Luft und gefährliche Situationen sorgen. Wir haben uns mit der Mobilitätsexpertin Katja Diehl darüber unterhalten, wie man Stadt anders denken kann.
Wie sieht die Stadt der Zukunft aus, in der Menschen sich wohl fühlen? Frau Diehl, wie sieht Ihre Traumstadt aus?
Katja Diehl: Ich möchte in einer Stadt wohnen, die mir die Mobilität bietet, die ich benötige. Ich möchte in einer Stadt wohnen, die versteht, dass Lebensqualität nicht am „schnell durch die Stadt fahren und billig parken“ gemessen werden sollte, sondern an der Freude, in ihr spazieren zu gehen, Menschen zu begegnen, gute Luft und Ruhe zu genießen.
Und wie erleben Sie Ihren Wohnort Hamburg derzeit?
Ich wohne in Hamburg in einem Wohnviertel, das von vier Spuren Autos geprägt ist: Zwei Park- und zwei Fahrspuren. Die Menschen, die ohne Auto mobil sind, haben gefühlt keine Lobby, sie ordnen sich dem Pkw unter. Der zum Teil in dritter Reihe geparkt immer größer gekauft wird. Das hat nichts mit der Leichtigkeit zu tun, die ich in einer Stadt fühlen möchte. Ich möchte an einem Sehnsuchtsort wohnen. Momentan mache ich viele Dinge in Hamburg „trotzdem“. Obwohl es sich gefährlich anfühlt, fahre ich zum Beispiel Rad. Obwohl meine Gehwege sehr schmal sind, gehe ich zu Fuß. Ich habe kein Auto und dadurch auch wenig Raum in der Stadt. Das möchte ich deutlich ändern. Und davon werden alle profitieren. Die Attraktivität einer Stadt steigert sich mit dem Wunsch, in ihr verweilen zu wollen.
Welche Städte kommen schon näher an Ihr Ideal heran?
Interessanterweise haben die Städte, die gerade viel voranbringen, Bürgermeisterinnen. Ich will nicht sagen, dass Frauen besser in der Umgestaltung autozentrierter Städte sind – aber vielleicht haben sie einfach andere Ideen und sehen andere Dinge. Wissenschaftlich ist bewiesen, dass Frauen – auch aufgrund der Rollengestaltung in der Familie – sehr viel mehr zu Fuß und mit dem ÖPNV machen als Männer. Das könnte einer der Gründe sein, warum Barcelona seine Superblocks gestaltet und Paris mit Anne Hidalgo eine Frau hat, die die Stadt autofrei machen will. Das halte ich für das wichtigste Signal, vor dem sich im Autoland Deutschland noch viele „drücken“: Ganz klar zu sagen: Der Platz muss vom Auto kommen, wenn die Stadt attraktiver werden soll. Die besten Alternativen nutzen nix, wenn Sie mit dem Pkw im Stau stehen. Oder kostenlos öffentlichen Raum okkupieren können. Weitere Städte sind Kopenhagen, London mit seiner Citymaut, alles Beispiele, die nicht 100 Prozent perfekt sind, sich aber auf den Weg gemacht haben, Mobilität jenseits des Autos zu denken.
Tempo 30 wird von vielen Experten für die Stadt empfohlen. Es schafft Gleichberechtigung zwischen den Verkehrsteilnehmern und sorgt für mehr Sicherheit.
Kostet eine Umgestaltung nicht furchtbar viel Geld?
Für mich sind Kosten nicht der Faktor. Die Folgekosten nicht-nachhaltiger Mobilität sind immens. Wenn wir unsere Klimaziele schaffen wollen, dann muss sich vor allem unser Verkehr deutlich nachhaltiger gestalten. Dieser zeigt nämlich aktuell kaum Verbesserungen auf. Zudem sind manche Maßnahmen kostenlos: Das deutliche Verteuern oder erstmalige Erheben von Parkgebühren zum Beispiel. Einfahrverbote bei Innenstädten schaffen. Wenn ich richtig informiert bin, erhält die Industrie rund um das Auto etwa elf Milliarden Subventionen. Das ist nicht wenig Geld, oder? Ich würde das lieber in Dinge investieren, die allen etwas bringen. Denn was wir immer vergessen, ist die Tatsache, dass Wenigverdienende im prekären Milieu den geringsten Autobesitz haben. Er liegt bei etwa 50 Prozent. Somit geht autozentrierte Subvention auch immer zu Lasten der Schwächeren der Gesellschaft. Eine weitere kostenlose Maßnahme wäre ein Tempolimit. Auch das sorgt für Sicherheit und Klimaentlastung.
Deutsche Städte sind sehr autozentriert. Woher kommt das?
Unsere zentrale Industrie nach dem Zweiten Weltkrieg war die Autoindustrie. Der Wiederaufbau Deutschlands hat sich an dieser und ihrem Produkt, dem privaten Pkw, orientiert. In den sechziger Jahren veränderte sich zudem die Stadtplanung in eine Verkehrsplanung, die im Zentrum das Auto hatte. Natürlich fußt nicht wenig unseres heutigen Wohlstands auf der Autoindustrie, dennoch ist das für mich kein Freibrief, dass wir uns nicht bewegen und deutlich verändern. Wir leben in Zeiten der Klimakatastrophe und haben in dem, was wir NICHT tun, sehr viel mehr Verantwortung als vorherige Generationen. Denn erstmalig kann unser Verhalten dafür Sorge tragen, dass es nach uns folgenden Generationen deutlich schlechter gehen kann. Es mag platt klingen, aber Krise ist Chance, weil sie erlaubt, die Dinge anders zu sehen und anders zu gestalten.
Wie meinen Sie das genau?
Ein Beispiel: Die erste „New Work“ Bewegung entstand auch aus einer Krise der Pkw-Industrie. In den USA waren in Flint die Hälfte aller Beschäftigten durch die dritte industrielle Revolution – den Robotern an den Fertigungsbändern – von Arbeitslosigkeit bedroht. Statt sich diesem Szenario auszuliefern und nichts zu tun, nahmen die Menschen vor Ort vom Bürgermeister bis zur Gewerkschaft die Sache gemeinsam in die Hand. Ein halbes Jahr wurde am Band gearbeitet, das andere halbe Jahr tat man das, was man „wirklich, wirklich gerne tut“. Und fand dabei Dinge heraus, die den alten Job sogar ersetzten. Wandel braucht Kreativität, nicht Stillstand. Diesen zu gestalten ist auch für die Autoindustrie eine echte Chance, die wir aber schnell nutzen müssen.
Wie schaffen wir, von der Autozentriertheit in den Städten wegzukommen?
Es muss schlicht von Vorteil sein, das Auto stehen zu lassen. Das geschieht, wenn die Alternativen attraktiver und verfügbarer werden. Wenn der Umstieg zwischen Verkehrsmittel „einfach so“ erfolgen kann. Heute muss sich JedeR, der anders mobil sein möchte als im Auto mehr anstrengen als JeneR mit Pkw. Parkplätze im öffentlichen Raum sind kostenlos, vier Spuren sind oft für das Auto reserviert (Park- und Fahrbahnen), Ampelschaltungen sind autozentriert, alternative Mobilitätsformen sind nicht miteinander verbunden, sondern es wird der Kundin überlassen, sich über diese zu informieren und die richtigen Apps parat zu haben. Und selbst, wenn das gelingt, ist noch nicht gesagt, dass der fairste Preis gefunden wird. Es ist in Zeiten von Digitalisierung aktuell ein großer Wildwuchs, der den Kunden nur im eigenen Produkt sieht – nicht aber in der Mobilität, die echte Alternative werden könnte. Neben Zuckerbrot wie deutlich mehr Raum.
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