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Acht Wochen auf TikTok – ein erstes Resümee.

Ich wurde schon seit etwa zwei Jahren immer wieder angesprochen:

Katja, es braucht Menschen wie dich auf TikTok, diese Plattform beeinflusst nicht nur, welche Parteien junge Menschen wählen, sondern auch, wie sie auf Mobilität schauen!

Ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt. Wusste ich doch um die Problematik dieser chinesischen Plattform, sowohl in Sachen Daten– als auch Jugendschutz. Ja, es gibt nichts Richtiges im Falschen. Ich nutze Plattformen wie Instagram, obwohl ich dort mittlerweile in meiner Reichweite gedrosselt werde, weil ich unter „politischen Content“ falle und das dem Metakonzern von Herrn Zuckerberg so gar nicht gefällt. Schon mehrfach erhielt ich „die schwarze Kachel“, auf der steht, dass mein Content nicht mehr sichtbar sei für Dritte. Auch Kommentare werden binnen Sekunden gelöscht, angeblich wegen Spam oder Nacktheit (Letzteres kann ich wirklich ausschließen…). Ich habe noch Telegram auf meinem Handy, weil ich mich von den Klimagruppen und Informationskanälen, die dort und nur dort zuhause sind, nicht trennen kann. Noch nicht. Ich versuche, mich gut zu fühlen, weil ich seit Jahren WhatsApp und Facebook aus meinem Leben verbannt habe, bleibe zugleich aber auch bei LinkedIn, obwohl sich auch bei der Microsoft-Tochter Hass und Hetze in meinen Kommentarspalten unmoderiert Bahn brechen und auch meine Reichweite hier immer wieder nachweislich gedrosselt wird.

Zumal ich in Sachen Alter weit über dem Durchschnitt Jener liege, die TikTok nutzen.

Schauen wir uns die Altersverteilung sowie die Geschlechterverteilung der TikTok-Nutzer mal in Deutschland an: Der Anteil der weiblichen User liegt bei ca. 60%, die der männlichen User liegt bei ca. 40%. Gerade bei Jüngeren ist die App besonders beliebt. Rund 65 % der User sind zwischen 18 und 24 Jahren alt. Der Anteil der 25-34 Jährigen liegt immerhin noch bei ca. 30 %, während die Altersgruppen darüber hinaus eher selten vertreten sind.

TikTok hatte im Jahr 2023 1,5 Milliarden aktive Nutzer pro Monat und wird voraussichtlich bis Ende 2024 zwei Milliarden erreichen

All das reichte nicht aus, um mich zu TikTok zu bringen. Wer ist nun „schuld“? CORRECTIV. Genauer: Marcus Bensmann, einer der verantwortlichen Köpfe hinter der Recherche zum „Geheimplan gegen Deutschland„. In einem meiner Blogbeiträge habe ich ausführlich dargestellt, warum das Treffen mit ihm am 3. Februar im Werkraum Schöpflin Lörrach den finalen Punkte setzte, mich nicht mehr vor meiner Verantwortung zu drücken, auf dieser Plattform zumindest eine Gegenstimme und eine Perspektivwechslerin zu sein.

Ich wusste um die Problematik, dass TikTok eine Plattform ist, in der demokratische Parteien und Influencer:innen, die für die Vielfalt unseres Landes stehen, kaum stattfinden. Der Volksverpetzer berichtete darüber, Jan Böhmermann widmete dem Phänomen eine Sendung, dass die AfD bei TikTok fast im Alleingang Jungwähler:innen erfolgreich überzeugen kann, weil andere Parteiaccounts fehlen.

Und mich ärgerte die „Überraschung“ vieler Deutscher in Sachen „so krass ist die Afd“!!??? Verstehen Sie mich nicht falsch! Auch wenn die Begeisterung für pro-demokratische Demos schon wieder abgeflacht zu sein scheint (die Demokratie zu verteidigen ist Marathon, nicht Sprint), auch mich hat begeistert, dass wir immerhin Hunderttausende auf den Straßen waren. Aber ich, die ich das Geschenk eines sehr heterogenen Bekanntenkreises habe, weiß um die Angst, die viele marginalisierte Gruppen seit Gründung der AfD zu Recht vor deren Plänen haben. „Überrascht“ sein zu können im Jahr 2024, wie krass die menschenfeindlichen Überlegungen dieser Partei sind, sind Zeichen von der Privilegierung, die ein Mensch hat: Das Privileg der bisher gefühlten Nichtbetroffenheit.

So installierte ich vor acht Wochen die App auf meinem Handy und machte meine ersten Erfahrungen auf dieser Plattform. Mit Erschrecken und Ekel musste ich feststellen, dass es sich anfühlte wie auf dem Heimatsender der Deutschtümelei, der rechten Gedanken und der ethisch abstoßenden Weltbilder zu Gast zu sein. Noch nie habe ich (gegen meinen Willen und dennoch kontinuierlich zugespielt) so tief in die abstoßenden Menschenhassdetails der AfD blicken können (und zugegeben: auch wollen). Es gibt bei TikTok einen so genannten „For You“ Bereich, in den alles gespült wird, das der Algorithmus für passend für die Nutzerin hält. Bei mir waren das zu Beginn, weil die Technik mich noch nicht ausgelesen hatte, ausschließlich Inhalte der AfD und ihr naher Accounts. Was darauf hindeutete, wie erschreckend groß die Verbreitung dieser Partei und ihres Gedankengutes war. TikTok als Alleinstellungsmerkmal einer vom Verfassungsschutz mehrfach als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei.

Ich tastete mich in dieser so völlig anderen Welt vorwärts, schuf selbst Inhalte und muss nach acht Wochen auch sagen: Es wird täglich besser, vielfältiger und ausgeglichener.

#ReclaimTikTok wurde zwischenzeitlich ausgerufen, also sich diese Plattform, auf Teenager ihre Informationen beziehen, auch mit demokratischen und vielfältigen Inhalten zu fluten. Fast die Hälfte der 14- bis 17-Jährigen kommt fast gar nicht mehr mit traditionellen journalistischen Angeboten in Kontakt. Sie beziehen ihre Informationen primär aus sozialen Medien. TikTok ist für diese Zielgruppe die meistgenutzte Plattform, so schnell gewachsen wie kein anderes soziales Netzwerk in Deutschland und wird mittlerweile von fast einem Drittel aller Deutschen genutzt.

Man kann diese Nutzung problematisieren. Man kann ein TikTok-Verbot fordern. Nur ist das noch nicht passiert und ob es jemals passieren wird, ist mehr als fraglich. Und selbst wenn es passieren sollte, müsste das Verbot erst noch umgesetzt werden. In dieser Zeit sind Jugendliche weiterhin im Durchschnitt 90 Minuten pro Tag auf TikTok. Sie sehen 90 Minuten lang Inhalte, schicken sie ihren Freund*innen, reposten, merken sich, was sie hören und sehen, erzählen es weiter. TikTok formt ihren Alltag und ihr Verhalten mit.

Ich gebe zu: Diese weitere Plattform ist für mich hoch anstrengend. Zu Beginn wurden meine Inhalte in Autoposer-Communities gespült, was zu „denkwürdigen“ Kommentaren führte. Ich blocke hier sofort, weil ich auf den anderen Social Media Plattformen bereits genug Hass erhalte. Es gibt in der Welt der weiblich zu lesenden Contentkreiierenden überwiegend Schminktutorials, vielleicht sollte ich beginnen, mich für Make Up zu interessieren und währenddessen etwas über die intersektionale Verkehrswende erzählen? Junge Männer filmen sich, wie sie an Tankstellen und Rasthöfen ihre hochgetunten Autos blubbern lassen, Hunderte von Menschen sehen ihnen dabei zu. TikTok ermöglicht es mir so auch sehr niedrigschwellig, an genau diese Menschen „zu kommen“ und für Minuten Teil ihres Lebens zu sein. Teilnehmende Beobachtung sozusagen.

Aktuell verwerte ich alles, was ich bei TikTok mache, auch auf anderen Plattformen, da sonst der Aufwand schlicht zu hoch wäre. Denn die Aufmerksamkeit bei TikTok liegt im Sekundenbereich, die ersten zwei Sekunden entscheiden, ob Nutzer:innen weiterschauen oder weiterskippen. Auch auf TikTok wurde ich schon mehrfach ermahnt ob meines Contents, zwei Videos „gegen die AfD“ wurden unsichtbar geschaltet.

Hier gibt es ein paar Einblicke, was ich so für Themen bearbeite:

Abgebrochener Verkehrsversuch in Dresden.

Fragile Petromaskulinität – vier Videos in Folge.

Aufklärung über Poolnudeln an Fahrrädern.

Volker Wissing und Fahrverbote.

Fußwegqualität in Deutschland.

Ich weiß nicht, ob ich „auf ewig“ auf dieser Plattform bleiben werde. Aktuell habe ich das Gefühl, dass es wichtig ist, dass wir alle hier sichtbar werden, um dieser Daten- und Newsquelle für Jugendliche mehr hinzuzufügen, als es Autonerds, Demokratiefeind:innen und Hetzer:innen machen. Aber ich kann auch alle verstehen, die das Experiment nicht wagen, weil es zuviel Aufwand und Energie bedeutet. Ich halte Sie auf dem Laufenden, was mir noch so begegnet.

Meine Learnings:

  • vor Aufnahme des Videos maximal drei Bullitpoints im Kopf haben, die platziert werden sollen
  • aktuelle Ereignisse scannen, die geeignet sein könnten, an diesem Tag platziert zu werden
  • nicht zu oft das Video „drehen“, sondern mit dem Unperfekten leben
  • ein BÄM an den Beginn, um die Aufmerksamkeit zu erhalten
  • immer Untertitel generieren, da die Plattform auch oft mobil und ohne Ton genutzt wird

Was ich noch ausbauen möchte:

  • Interaktion mit Accounts, die meinen Inhalten nur zum Teil entsprechen, aber Follower schaffen können
  • etwas mehr Kontroverse wagen, hier macht mir das Format Video noch eine Bremse in den Kopf
  • mehr Formate mit Interaktionsmöglichkeit schaffen

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