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Jacob Spanke: Warum brauchen wir nur maximal zehn Millionen Autos, um in Deutschland mobil zu sein?

Meinen heutigen Gast habe ich schon ein paar Mal gespoilert, nicht nur, weil ich ihn für mein zweites Buch, das am 29. Mai erscheint, interviewt habe. Sondern auch, weil er meiner Wahrnehmung einer der wenigen ist, der ganz pragmatisch auf die Bestandsflotte Deutschland schaut und zahlenbasiert analysiert hat, wieviel Autos wir für Deutschland benötigen, um die gleiche Mobilität zu gewährleisten. Denn aktuell sind Fahrzeuge eher Stehzeuge und bewegen sich nur 45 Minuten am Tag.

Das Spannende an Jacob: Er hat sich vor der Recherche zu dem Buch, an dem er da aktuell schreibt, zuvor nie für Verkehrspolitik interessiert. Das änderte sich durch Jacobs Wahrnehmung, dass wir  als Gesellschaft uns so verhalten, als ob wir auf einen möglichst hohen Berg steigen, runterspringen und dabei hoffen, dass uns Flügel wachsen, während wir fallen. Verkehrspolitisch machen wir seiner Perspektive nach immer genau das Gegenteil von dem, was wir sagen und hoffen, dass es trotzdem gut geht. Was nicht funktionieren kann und wird. Als er vor einem Jahr hörte, dass die Zulassungszahlen schon wieder gestiegen sind, die Staus wachsen und wir den unterzeichneten Zielen der Pariser Klimaverträge nicht näher kommen, war das der erste Anlass, aktiv zu werden. Der zweite, für ihn weitaus schlimmere war jedoch, dass er in Mainz, wo er lebt, ein kleines Kind bei grüner Ampel von einem Suv überfahren worden und getötet worden ist. 30 Meter von seiner Haustür entfernt. Zweimal täglich kommt er seitdem an dieser Stelle vorbei, was ihn emotionalisierte und auch wütend gemacht hat über den Status Quo.

Wie ging Jacob vor, um zu eruieren, wie groß die deutsche Autoflotte sein muss, um Mobilität aller zu gewährleisten. Natürlich gab es die klassischen Statistiken wie Mobilität in Deutschland oder die Berichte vom Statistischen Bundesamt, aber auch Klimaberichte zu den Zielen der Klimagesetze. Sowohl bei der Zielzeit als auch bei der Größe des Bestandes ist Jacob recht entspannt, er denkt sogar mittlerweile, dass es weniger als zehn Millionen Autos braucht. Wichtig für ihn ist nach seiner Fleißarbeit:

50 Millionen Autos sind eine Eskalation in Ressourcen und Folgeschäden, die in keinerlei Bezug zu der im Vergleich eher geringen Mobilität, die dieser absurd hohe Bestand gewährleisten muss. Jacob denkt, dass die Umsetzung der Veränderung definitiv möglich ist. Das haben seine Recherchen gezeigt. Die Frage sei vielmehr: Wollen wir es politisch und gesellschaftlich?

Zudem: Wenn wir uns Eisen, Kupfer, Lithium, viele weitere Rohstoffe anschauen, die es braucht, um ein Auto zu bauen: All das importieren wir. Und auch gerade DAMIT wir überhaupt die Antriebswelle schaffen können, vor allem, was den Gesamtenergieverbrauch von Elektroautos angeht, der deutlich, deutlich besser ist als der von Verbrennern, dann – so hat Jacob es nachgerechnet – kommen wir bei Lkw und Pkw auf konservativ gerechnet 172 Terawattstunden. Die aktuell erneuerbar erzeugte Energieleistung liegt bei 190 Terrawattstunden. Das spricht für sich – denke ich.

Zudem: Wir brauchen die erneuerbaren Energien zum Heizen, für unsere Industrie, die laut Jacob auch immer stärker erkennt, wie wichtig die Mobilitätswende ist, damit Autobesitzer:innen ihnen nicht als Energiekonkurrent:innen begegnen. Jacob betont: „Die Elektromobilität ist viel, viel effizienter als ein Verbrenner, aber im Vergleich zur Schiene ist sie unfassbar uneffizient. Stahl auf Stahl hat eine sehr geringe Reibung, gegenüber einem Zug braucht die automobile Elektromobilität das Drei- bis Vierfache an Energie. Auch das muss im Rahmen globaler Gerechtigkeit betrachtet werden.“ Auch, weil diese im Vergleich zu Ländern wie Deutschland einen unfassbar geringen Autobesitz haben. Wenn also die Zahl der Autos nicht weiter wachsen soll, dann ist die Konsequenz, dass Länder, die sehr, sehr viele Autos haben davon ein paar abgeben müssen.

Jacob fragte sich: Wie sieht ein alternatives Verkehrssystem aus? Wie kriegt man das finanziert? „Da war ich überrascht, wie einfach und verfügbar die Antworten jetzt doch teilweise schon sind. Das hätte ich mir schwieriger vorgestellt. Und dieses Wissen ist in Teilen auch sehr bedrückend, weil ich sehe, wie stark sich die Dinge in die falsche Richtung entwickeln und wie stark die Widerstände sind gegen die Verkehrswende.“

Jacob weist nach: Ein autozentriertes System ist das teuerste und ungerechteste Verkehrssystem, was wir haben könnten, das unsere Gesellschaft krank macht. „Wir machen es, weil eine sehr kleine Minderheit davon profitiert. Eine Botschaft, die ich hoffentlich dann rüberbringen im Buch: Das geht auch anders. Alle Fragen sind beantwortet, wir müssen uns nur trauen.“

Und er räumt mit einigen Mythen auf: „Tatsächlich ist der größte Arbeitgeber in Deutschland das Gesundheitssystem. Und wenn wir auf die verarbeitende Industrie gucken, dann ist der größte Arbeitgeber nicht die Automobilindustrie, sondern der Maschinenbau. Die Automobilindustrie hat nach Angaben des VDA 779.700 Arbeitsplätze in Deutschland, was eine relevante Zahl ist. Wir haben gerade Fachkräftemangel und all diese gut qualifizierten Menschen, die in der Automobilindustrie arbeiten, brauchen wir dringend für die Umsetzung der sozialökologischen Transformation. Leute, die Autos montieren können, auch Solaranlagen voranbringen. Wenn die Zahl der Arbeitskräfte in der Automobilindustrie moderat zurückgehen würde, wäre das für die deutsche Volkswirtschaft gut, weil wir diese in anderen Bereichen nötiger brauchen.“

Was brauchen wir nun, um die Fahrzeugzahl deutlich zu reduzieren?

Vor allem den Aufbau von Bus- und Bahnangeboten, bessere Fahrradwege, mehr Möglichkeiten, zu Fuß zu gehen. Der Modal split vom Auto liegt momentan bei über 80%, die wir in Zukunft nicht mehr mit Privatauto, sondern überwiegend mit geteilten Autos fahren. „Die erste Maßnahme, die ich ergreifen würde, wenn es speziell um die Reduzierung der Automobilzahlen geht, wäre ein repräsentatives Kostenbeispiel beim Automobilkauf einzuführen, hört sich jetzt komisch an und technokratisch, macht aber total Sinn weil Studien beweisen, dass Autofahrer komplett unterschätzen, was sie ihr Auto im Monat kostet. Die meisten haben z. B. den Wertverlust nicht im Blick.

Das zweite, was ich machen würde, wäre ein SUV-Verbot in Innenstädten oder eine massive Besteuerung von Suvs. Die Existenzberechnung von SUV kommt angeblich daher, dass Leute eine bessere Übersicht haben wollen. Aber die Übersicht von ihnen ist das Blickhindernis von anderen und so gut ist diese Übersicht gar nicht, auch weil ich einen massiven, toten Winkel nach vorne habe, der gerade für Kinder ein massives Problem ist. Der Grund, warum Suvs gekauft werden, ist einfach Status und Protzen. Wenn ich also ein Produkt habe, von dem ich weiß, dass es für uns als Gesellschaft wirklich tödlich ist, dann muss ich es regulieren. Die USA machen es vor: Während lange Zeit die Verkehrstoten gesunken sind, steigen sie jetzt aufgrund der riesigen Pkw wieder an, weil SUV massiv gefährlich für Fußgänger, Radfahrer und Fahrer von kleineren Autos sind. Da muss Politik so ein Produkt knallhart aus dem Markt rausregulieren.“

Sein Fazit ist jedoch „bittersüß“. Verkehrswende ist ein politisch sehr schwieriges Unterfangen. Es ist aber nicht unmöglich. Es gibt Städte wie Paris, die zeigen, dass es geht. Wenn Räume UND Menschen vom Autoverkehr befreit sind, dann erleben Menschen die überwältigenden Vorteile nach der Veränderung. Wir verlieren wenig Verkehrsfläche und wir gewinnen viel Lebensqualität. Auch in Paris gab es vor der Umsetzung großen Widerstand. Jetzt übertreffen die Zahlen der mit dem Rad Pendelnden die der im Auto. „Politik muss das Richtige gegen Widerstände tun, zuhören, Ängste ernst nehmen, aber keine Zweifel an ihrer Entschlossenheit im Gesamten lassen. Ein Austin-Martin-Fahrer, der vom Dienstwagenprivileg profitiert, spart teilweise 2.500€ pro Monat. Während Kinder, Menschen in sozialschwachen Gebieten, wo es viel Luftverschmutzung gibt, Alte und Jugendliche, die ohne Auto nicht mobil sind, oder auf dem Dorf, wo es keine Nachversorgung gibt, nur Nachteile haben. Diese Interessensgegensätze bekomme ich nur dann weg, indem ich Strukturen ändere und darüber dann auch Menschen. Und das ist es, was mir Hoffnung macht. Wenn Politik wollte, dann könnte sie positive Zukunftsvisionen der Mobilität verbreiten. Darüber sprechen, wie viel Geld wir sparen würden. Aktuell steckt unsere Gesellschaft über 500 Milliarden Euro pro Jahr ins Auto. Wenn wir konsequent ein anderes Verkehrssystem nutzen würden, wo das Auto nur noch die Krone, weil es sehr teuer ist. Es sei denn, es sind Anwendungsfälle, wo das Auto Vorteile hat, also eher Nischen. Dort, wo Zug, Bus, Rad Vorteile haben, stehen diese im Fokus. Damit würden wir 300 Milliarden Euro pro Jahr sparen, das sind 1.500 Euro pro Person, eine vierköpfige Familie hätte 6.000 Euro für den Umstieg. Politik konnte darüber reden, dass weniger Autos das Wohnraumproblem in Städten lösen können, weil Raum frei wird. Politik könnte über die Chancen von alternativen Wirtschaftszweigen reden, über das Beschäftigungspotenzial, gerade wenn Deutschland Pionier und wieder Exportweltmeister werden würde in nachhaltiger Mobilität. Da muss sich die Politik entscheiden: Will sie mutig sein und Chancen nutzen oder Ängste schüren und dann scheitern. Das ist die Entscheidung, die wir als Gesellschaft, und Politik treffen müssen.“

4 Gedanken zu „Jacob Spanke: Warum brauchen wir nur maximal zehn Millionen Autos, um in Deutschland mobil zu sein?“

  1. Hallo Frau Diehl, die EE-Stromerzeugung liegt bereits bei 260 TWh/a, und nicht bei 190 TWh/a wie von Ihnen behauptet. Quelle: Fraunhofer ISE: „Insgesamt produzierten die erneuerbaren Energien im Jahr 2023 ca. 260 TWh und damit etwa 7,2 Prozent mehr als im Vorjahr (242 TWh).“ Im 1. Quartal 2024 gab es bei der EE-Stromerzeugung übrigens eine weitere Steigerung um 11% auf 77 TWh.

    Ganz schlimm finde ich Ihren Nachsatz „Das spricht für sich“. Sie setzen die (vermeintlich) aktuelle EE-Stromerzeugung mit sich „plötzlich“ über Nacht hereinbrechenden 50 Mio. Elektroautos bzw. E-LKW in Bezug, obwohl in den letzten zehn Jahren in Deutschland gerademal 1,5 Mio BEV-Autos zusammengekommen sind.

    Die aktuell vorhandenen E-Autos haben einen Strombedarf von ca. 3,3 TWh der 260 TWh EE-Strom im Jahr, und nicht 173 TWh davon, wie in Ihrem Schreckgespenst.

    Und keine Angst, der E-Auto-Bestand dürfte bei unter Berücksichtigung der aktuellen BEV-Neuzulassungszahlen (0,11 Mio. in 4 Monaten) bis 2030 auch nur auf ca. 3,5 Mio anwachsen – das wären dann 7% des PKW-Bestandes.

    Bis 2030 müsste die EE-Stromerzeugung allerdings knapp verdoppelt werden, wenn die für Deutschland verplichtend eingegangenen Klimaschutzmaßnahmen eingehalten werden sollen. Die prognostizierte Zahl an E-Autos würde 2030 unter 2% der erzeugten EE-Strommenge verbrauchen.

    1. Hallo Spürmeise,
      hier ist Jacob 😉 Also erstmal vielen Dank für deinen Kommentar und Nachrecherchieren. Drei Anmerkungen dazu: 1. Meine Zahl war aus 2022 – inzwischen gibt es neuere, da ist ihre Anmerkungen also völlig berechtigt. 2. Meine Zahl (ich glaube so habe ich das auch gesagt) bezog sich explizit nur auf Wind und Solarstrom – Wasserkraftwerke und Biomasse haben ja eigene ökologische Probleme und sind auch nicht unbegrenzt ausbaubar. Bei beiden zusammen liegen wir 2023 bei 203 TWh (https://www.umweltbundesamt.de/themen/erneuerbare-energien-nehmen-2023-weiter-fahrt-auf). Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin ein großer Fan von Erneuerbaren Energien und auf unserem Dach liegt PV. 3. Klar ist bis 2040/2050 noch Zeit um weiter auszubauen. Aber wie gesagt: Nicht nur der Verkehr braucht die erneuerbaren Energien. Sondern die Industrie- und im Wärmebereich steigt die Nachfrage ebenfalls rasant. Außerdem müssen wir ja auch noch die Schifffahrt mit Wasserstoff und (die hoffentlich weniger) Flugzeuge mit Efuels versorgen. Deshalb darf der Verkehr einfach nicht unbegrenzt viel Energie verbrauchen. Genau aus diesem Grund hat sich ja auch Österreich auch eine Verkehrsreduzierung vorgenommen. Und u.a. deshalb reicht eine reine Antriebswende nicht sondern wir müssen die Autozahl reduzieren.

  2. Hallo Spürmeise, hier ist Jacob 🙂 Erstmal danke für das kritische Hören und Recherchieren! Inhaltlich drei Punkte: 1. Du hast Recht – ich hätte Zahlen von 23 zitieren sollen. Wollte ich eigentlich noch aktualisieren und hab es dann vergessen. Zusammen haben PV + Wind in 2023 203 TWh produziert – das sind erfreuliche 30 TWh mehr. 2. Ich nehme deswegen nur Sonne und Wind, da Biomasse und Wasserkraft sowohl erhebliche ökologische Probleme haben und auch nur sehr begrenzt ausbaubar sind. 3. Der Ausbau von Wind und Sonne ist dringend notwendig (wir selbst haben auch PV auf dem Dach) und schreitet seitdem Habeck sich darum kümmert auch wieder sehr gut voran. Das muss er aber auch. Denn zeitgleich zum Aufbau von Wind und Sonne, steht ja auch die Wärmewende und die Begrünung der Industrie an. Und auch der Verkehrssektor braucht noch deutlich mehr Strom als von mir zitiert, denn für Schiffe werden wir Wasserstoff brauchen und für Flugzeuge Efuels. Beides sehr, sehr energieintensiv in der Produktion. Es bleibt also (zumindest nach allen Studien, die ich bisher gelesen habe) dabei: Um genauso weiterzumachen, wie gehabt, haben wir einfach nicht genug erneuerbare Energie. Genau deshalb hat ja auch Österreich mit seiner Verkehrswende begonnen und streicht gerade zwei Autobahnprojekte (https://www.youtube.com/watch?v=AryEH-fhafk, so ab Minute 31). Deshalb bleibe ich weiterhin dabei: Wir brauchen die Antriebswende dringend und gleichzeitig müssen wir den Autoverkehr und die Autozahl deutlich reduzieren.

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