Mobilität nur durch die Windschutzscheibe? – oder: Auf dem Land geht Verkehr auch anders
Von Katja Diehl
Autorin – Portrait kurz: Katja Diehl, aufgewachsen in Lingen (Emsland), ist Autorin, Bloggerin und Moderatorin. Sie befasst sich mit allen Aspekten der Mobilität.
Autorin – Portrait lang: Katja Diehl, aufgewachsen in Lingen (Emsland), ist Autorin, Bloggerin und Moderatorin. Sie befasst sich mit allen Aspekten der Mobilität, zuletzt in ihrem Buch „Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt“ (S. Fischer Verlag). Mehr als 15 Jahre lang war Diehl in der Energie-, Mobilitäts- und Logistikbranche tätig, bevor sie sich mit dem Kommunikationsunternehmen „She drives Mobility“ selbständig gemacht hat. Sie engagiert sich im Bundesvorstand des Verkehrsclub Deutschland (VCD).
Es stimmt natürlich: Viele Menschen können nicht im ländlichen Raum leben, ohne ein Auto und einen Führerschein zu haben. Daraus folgt aber für 13 Millionen Erwachsene ohne Führerschein, dass sie in diesen Regionen nicht leben können. Und daraus folgt für ebenfalls 13 Millionen Kinder, die zu jung für einen Führerschein sind: Sie müssen hier von Erwachsenen gefahren werden und sind damit nicht selbstbestimmt unterwegs. Und daraus folgt auch, dass Menschen, die auf dem Land leben wollen, Auto fahren müssen – auch wenn ihnen das vielleicht gar nicht liegt.
Autozentrierte Räume haben uns abhängig gemacht
Die schlechte Versorgung mit Alternativen kommt nicht von ungefähr. Als das Auto an Wichtigkeit gewann, wurde Stadtplanung zu Verkehrsplanung. Das war ein großer Fehler, den wir zunehmend erkennen. Autozentrierte Städte und Räume haben uns abhängig gemacht. Nicht, weil das Auto so eine gute Lösung ist, sondern weil wir die Alternativen abgebaut und die Wegestrecken zu unseren Zielen verlängert haben.
Noch bis in die 1960erJahre hinein haben sich viele Menschen zu Fuß und mit dem Rad durch die Gegend bewegt. Fußwege hatten mal einen Anteil von 60 Prozent am Mobilitätsaufkommen, weil Wohnen, Arbeit und Erholung sehr nah beieinanderlagen.
Das ist heute anders. Die Anzahl der Wege, die wir am Tag machen, hat sich nicht verändert, aber die Länge unserer Wege. Dementsprechend freue ich mich, wenn ländliche Strukturen wieder dörflich werden, in dem Sinne, dass durch kürzere Wege weniger Autoabhängigkeit entsteht. Ich sehe viele Chancen, indem wir
- Co-Working auf dem Land etablieren,
- sichere Radwegesysteme bauen,
- stillgelegte Bahnstrecken reaktivieren und
- die Nahversorgung wieder an die Menschen heranbringen, etwa den Tante-Emma-Laden im Dorfkern.
Was in der Stadt nervt, könnte auf dem Land helfen
Denn ich habe das Ziel, dass möglichst viele Menschen das Recht erhalten, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können. Ich will, dass Menschen auf dem Land, die mit dem Rad fahren wollen, genauso sicher sind wie die Menschen im Auto. Zu viele, die im ländlichen Raum Rad fahren wollen, machen das nicht, da eine Landstraße aktuell zu gefährlich für Radfahrer:innen ist.
Zudem gibt es im ländlichen Raum das Problem der Mobilitätslücken. Weil alles abgebaut wurde, ist der Weg zum nächsten Bahnhof oder zur nächsten Haltestelle für manche zu weit. Dinge, die in der Stadt viele nerven – E-Scooter und Leihradsysteme – könnten auf dem Land helfen, diese Lücken zu schließen, so dass die Möglichkeit entsteht, morgens von Zuhause mit dem Rad zum Bahnhof und abends damit wieder zurückzufahren. Mit einem E-Scooter kann man bis zu fünf Kilometern überbrücken. Da 50 Prozent der zurückgelegten Strecken im ländlichen Raum mit dem Auto unter fünf Kilometern bleiben und zehn Prozent der Wege unter einem Kilometer, steckt in solchen Angeboten viel Potential. Und vielleicht macht eine regionale Initiative auch den Bahnhof wieder zu einem sozialen Ort.
Als Nahversorgung noch gut war
Lebensqualität im ländlichen Raum braucht:
– gute Nahversorgung,
– gutes Internet und
– gute Mobilitätsalternativen
Gute Mobilität für alle sollten wir uns etwas kosten lassen. Aktuell bezuschusst Deutschland und damit wir als Steuerzahler:innen jedes Auto mit 5.000 Euro im Jahr. Das wäre viel Budget für eine attraktive öffentliche und geteilte Mobilität!
Zudem sollten wir „das Land“ zurückführen in die Zeit, in der die Nahversorgung noch in Ordnung war und nicht durch die Automobilität immer mehr an Bedeutung verlor. So kann es sinnvoll sein, Lieferdienste von der Stadt auf das Land anzubieten als einzelne Autos in die Stadt fahren zu lassen. Autohändler:innen könnten auf dem Land sich Unabhängigkeit von Hersteller:innen geben, indem sie nicht nur Autos, sondern Post- und Apothekensendungen annehmen und rausgeben und einen kleinen Supermarkt vorhalten, urban gardening ermöglichen, artgerechte Tierhaltung organisieren. Das würde zudem Menschen auf dem Land halten und die Metropolregionen von weiter steigenden Mieten und Verkehr entlasten.
Lassen Sie uns zusammen auf all diese Chancen im Ländlichen schauen und sie mit regionalen Partner:innen umsetzen, Kernkompetenzen bündeln, im Wettbewerb der Regionen durch Lebensqualität ohne Auto bestehen und Menschen in den Fokus zurückbringen.
Warum gibt es den Postbus nicht mehr?
Die durchschnittliche Pendler:innenstrecke von 13 km Länge weist zusätzlich darauf hin, dass auf dem Land manchmal Bequemlichkeit eine Rolle spielt. Schlecht drauf? Ok. Schauen wir auf Lösungen! Die gibt es nämlich zuhauf – im Gegensatz zum politischen Willen, diese zu fördern. Da gibt es zum Beispiel die Idee, den Postbus zu reaktivieren, also wieder mal etwas, was wir mutwillig abgeschafft haben: Den gleichzeitigen Transport von Fahrgästen und regionalen Waren.
Meinen Podcast mit @landlogistik findet ihr hier, Beschreibung des Hofer Land Lieferbus powered by @door2doorHQ hier. Die von @OMOBI3 haben in Oberbayern, wo es kaum ÖPNV gab, selbst (!) ein Angebot geschaffen – vor allem, um ihre Region in Murnau von den Tourist:innenströmen per PKW zu entlasten. Viele Projekte, die das On-Demand-Ridepooling einsetzen, um Mobilitätslücken zu schließen, findet ihr hier: Ländlicher bis suburbaner Raum, alles in D.
Kreative Ideen sind gefragt
Ebenfalls anders denken könnten wir das mobile Arbeiten. Sollen wir wirklich jeden Tag ins Büro fahren – oder reicht das bei manchen Jobs nicht auch einmal die Woche? Damit meine ich nicht das Belastende des aktuellen Homeoffice. Denn es geht nicht darum, um Wohnbereich auch noch das Arbeiten unterzubringen. Aber es geht darum, den Ort des Arbeitsplatzes frei wählen zu können. Hier könnten sich viele Arbeitgeber:innen fragen: Woher kommen meine Mitarbeiter:innen? Kann ich Bürofläche in teuren Stadtgebieten minimieren und Coworking-Flächen zusammen mit anderen Arbeitgeber:innen in Vororten und auf dem Land etablieren? Diese könnten auch wieder Teil der Nahversorgung werden. Erste Ideen habe ich mit Tobias Kremkauf hier besprochen.
Mein Fazit: Unsere Verkehrspolitiker sehen Mobilität nur durch die Windschutzscheibe. Kreative und ganzheitlich agierende Menschen von @cambio_de über @mobileeee_fra bis hin zu @dienstfahrrad verändern Mobilität zum Besseren und sollten mehr Raum erhalten.
Viele Grüße von
Katja Diehl
Hinweis der Landbrief-Redaktion: Katja Diehl hat ihre Bestandsaufnahme der Mobilität und ihre Reformideen zusammengefasst in ihrem Buch „Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt“ (S. Fischer Verlag).
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