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Urban Independence – what? Die Verkehrswende im Visier

Karen Rike Greiderer hat mich für das Urban Independence Magazin der Bike-Citizens interviewt. Bike Citizens sprechen in der Serie “Urban Independence – What?” mit Experten und Expertinnen unterschiedlichster Fachbereiche über die Verkehrswende und urbane Unabhängigkeit. Ich erlaube mir hier Folge #1 mit mir über Verhaltensänderung durch Irritation, die Kraft der Selbstwirksamkeit und Radfahren als Extinction Rebellion wiederzugeben. Viel Freude beim Lesen!

Intro
Eine Minute bevor mich Katja Diehl am Telefon begrüßt erscheint fix ihr neuer Instagram-Post: LinkedIn announcte sie zur den Top Voices 2019. So beginnt unser Gespräch heiter und mit Glückwünschen. Sofort nimmt das Interview Fahrt auf. Katjas Leben ist nicht nur Verkehrswende sondern auch Tempo.

Die Arbeit in der Mobilitätsbrache ist ihre Life-Life Balance. „Gute Mobilität“ – dafür möchte sie sorgen. Und das packt und stößt die Wahl-Hamburgerin an vielen Ecken gleichzeitig an: Als VCD-Vorstandsmitglied, Angestellte in Teilzeit bei Door2Door – dem Expertenteam für Ridepooling in Berlin und als selbständige Kommunikationsberaterin bei She Drives Mobility mit gleichnamigen Podcast.

Katja stellt via twitter unbequeme Fragen im Mobilitätskontext und bekennt sich öffentlich als Fan der Deutschen Bahn. Scheinbar nebenbei knackt sie das #manel Problem der Mobilitätsbranche. Manel bedeutet Male Panel.

Auf Bühne und Podium von Fachveranstaltungen ist Katja Diehl um eine – im wahrsten Sinne des Wortes „gute Verbindung“ zwischen den Fronten Auto, Öffi und Rad bzw. Fußverkehr bemüht.

Bike Citizens: Die Art wie wir uns von A nach B bewegen ist im Wandel. In unserer Gesellschaft steckt Mobilität überall mit drin. Mit welchen Aspekten beschäftigst du dich? Wo dockst du an? Wo beginnt die Mobilitätswende?
Katja Diehl: Aktuell sind wir autozentriert. Entweder wir haben einen Führerschein und fahren selbst Auto, oder wir fahren mit. Wenn wir Mobilität verändern wollen, wenn wir wirklich weniger Autos haben wollen – und das ist das Ziel der Mobilitätswende – dann brauchen wir weitaus mehr, als neue technische Lösungen. Mobilität ist nichts ausschließlich Technisches. Wir brauchen Verhaltensänderung.

Ein Technikupdate fällt den Menschen leicht, ein Verhaltensupdate weniger. Wie erreicht man echte Verhaltensänderung?
Positive Irritation bringt Menschen zum Denken. Aktuell ist es zum Beispiel so dass das Auto finanziell nicht weh tut. Es steht 23 Stunden pro Tag in der Stadt. Deswegen darf Parken nicht umsonst sein und muss etwas kosten. Kosten irritieren!

Wie sieht die Situation auf dem Land aus?
Auf dem Land heißt es schnell „Ich muss Auto fahren. Es gibt nicht mal einen Bus.“ Aber das stimmt so nicht. Dann sage ich immer: „Hast du schon bei deinem Bundestagsabgeordneten angerufen und ihm das gesagt? Du bist Politik. Du kannst das mitgestalten!“

Warum schreitet die Politik nicht mit Vorbildwirkung im Takt des Mobilitätswandels?
Unsere Politik ist autogesteuert. Und unsere Politik verspürt eine ganz große Technikliebe. Von selbst ändert sich da gar nichts.

Die Mobilitätswende braucht also mehr Schub von unten?
„Allein kann ich nix tun!“ Es ärgert mich, wenn ich diesen Satz höre. Denn alle Menschen die etwas für lebenswertere Städte machen, sind sehr wertvoll. Diese Selbstwirksamkeit zu spüren, ist etwas sehr Wichtiges. Dieses Gefühl: Ich kann das mit gestalten.

Aber statt Mobilität gemeinsamen zu gestalten krachen die kontroversen Lager aufeinander – medial wie auf der Straße. Wie ordnest du das ein?
Wir haben verlernt miteinander zu sprechen und andere Meinungen auszuhalten. Entweder wir machen komplett dicht oder wir radikalisieren uns: Auto-Fan versus Rad-Fan versus LKW-Fan. Mich ärgert dieses gegenseitige „bashen“. Jeder und jede ist in einer Bubble. Dabei könnten wir alle gemeinsam eins sagen, nämlich: Wir brauchen den Platz vom Auto. Und keinen „Bubbleclash“.

Wie kommt man vom „Bubbleclash“ zur Selbstwirksamkeit? Wie wird aus Pöbelei Gestaltung?
Selbstwirksamkeit kann entstehen, wenn wir uns aus unserer Filterblase herausbewegen. Wenn wir nicht besserwisserisch auf andere herabblicken, sondern uns fragen: Wie ist denn eigentlich Mobilität für jemanden zum Beispiel mit Rollstuhl? Wir sehen immer nur unseren eigenen Verzicht, aber nie den der anderen.

Wie kann Veränderung aussehen?
Gerade in der Stadt ist es mein Wunsch, vorbildhafte Stadtteile zu schaffen. Wir haben so wenig Phantasie. Wir sind so gehemmt. Wir müssen Stadtteile neu gestalten, damit man sehen kann, was wir gewinnen, wenn wir das Auto weglassen.

Es ist eine Entlastung, wenn man kein Auto hat und sich um nichts kümmern muss. Soweit sind wir noch nicht mit unserer Vorstellung, aber da müssen wir hin!

Das Auto polarisiert: Kein eigenes Auto zu besitzen ist für Viele unvorstellbar. Andere wiederum würden nie wieder in eines einsteigen…
Alles was man aktuell mit dem Auto machen kann, muss auf verschiedene miteinander verbundene Verkehrsmittel aufgeteilt werden. Menschen sind da Geld und Zeit getrieben. Sagen wir man hat ein monatliches Mobilitätsbudget von EUR 600,- (Anm. d. Red: Soviel kostet etwa ein Deutscher Mittelkassewagen pro Monat im Durchschnitt exklusive Anschaffungskosten): Davon kann ich mir eine Jahreskarte kaufen, für jeweilige Bedarfe ein Lastenrad oder einen komfortablen Mietwagen nehmen und Getränkekisten werden geliefert. In München bietet die Verkehrsgesellschaft mit dem Isartiger sogar Ridesharing an, holt mich vor der Haustür ab und ist dabei günstiger und komfortabler als Carsharing! Es ist eine Entlastung, wenn man kein Auto hat und sich um nichts kümmern muss. Soweit sind wir noch nicht mit unserer Vorstellung, aber da müssen wir hin!

Leute aus der ganzen Welt kommen nach Europa, weil es hier gut ist. Das müssen wir bewahren und gestalten – sonst werden wir gestaltet.

Warum passiert die Mobilitätswende gefühlt nur innerhalb der Berliner Ringbahn, wo sich die Angebote seit etwa einem Jahr überschlagen?
Innenstädte dienen gerade als Experimentierfeld. Innerhalb des S-Bahn-Rings bekommt man einfacher eine Ausnahmegenehmigung für Experimente und es gibt viele neugierige Menschen. In Hamburg zum Beispiel wurden gerade (Winter 2019) zwei Außenbezirke mit eScootern angeschlossen weil die so gut angenommen werden. Es ist wichtig in Wegeketten zu denken.

Warum brauchen wir die Mobilitätswende?
Bin ich eigentlich die einzige die Klimakrise hat? Wir müssen das Ruder rumreißen; Wachstum reduzieren. Wir müssen aufhören uns von anderen zu separieren. Die Todesblüte der Separierung im Verkehr ist der SUV. Zwischen zwei Autos erstickt die Erlebniswelt der Kinder! Wir müssen wieder zusammenkommen und uns auf uns selbst besinnen. Auch die schlechte Luft ist ein ernstzunehmendes Problem. Und zuletzt: Leute aus der ganzen Welt kommen hierher nach Europa, weil es hier gut ist. Das müssen wir bewahren und gestalten – sonst werden wir gestaltet. Dafür braucht es Mobilitätswandel und Digitalisierung der Arbeitswelt – die ich auch positiv sehe.

>> Das Interview pausiert an der Stelle. Katja ist in Berlin unterwegs. Sie möchte per Bahn zum nächsten Termin und sich im Anschluss zurück melden. Aber bereits nach fünf Minuten läutet das Telefon. Katja sitzt, statt in der Tram, im Ridesharing-Van der BVG – Berliner Verkehrs Betriebe und der steht im Stau. Um sie rum, nach eigener Erklärung, nur Autos…

In diese Situation passen meine letzten Fragen fabelhaft: Urbane Unabhängigkeit / Urban Independence – was bedeutet das für dich?
Ich glaube, dass urbane Mobilität so schlecht ist, weil das Auto immer noch Vorrang hat. Autofahren hat an sich nichts mit Freiheit zu tun. Wenn Autos dort fahren würden, wo sonst nichts fährt, dann würde auch der gesamte Verkehr in der Stadt besser funktionieren. Urbane Mobilität sollte sich leicht anfühlen. Leichter, als wenn man mit dem Auto allein unterwegs ist.

Bist du eine Radfahrerin?
Nein. Ich bin keine Radfahrerin. Ich bin auch keine Busfahrerin. Ich gehöre überall dazu. Aber, ich fahre gern Rad – nur nicht mit leichtem Herzen. In der Stadt ist Radfahren unsäglich, die Infrastruktur gibt es nicht her. Aber ich fahre trotzdem. Radfahren in Berlin ist Trotz. Wenn man hier mit dem Rad unterwegs ist – ist schon eine Mini Extinction Rebellion.

Danke! 

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