1. Was sind für dich derzeit die drei drängendsten ökologischen und/oder gesellschaftlichen Themen?
„Mich beschäftigen aktuell die Klimakatastrophe, Rassismus und Sexismus sehr, auch weil sie so eng miteinander verzahnt und auf ungute Weise Teil der Welt sind, die ich vor Jahren noch nicht genug hinterfragt habe. Und die Pandemie-Welt hat alte Wunden wieder aufgerissen, auf die wir nur ein Pflaster geklebt haben. Menschen steigen wieder in ihre Autos, weil sie Angst vor Ansteckung haben. Die Autoindustrie war 2019 bereits in der Krise, nutzt aber Corona für ihre Narrativ. Und Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit, um Care-Arbeit leisten zu können.”
2. Wann hast du dich das erste Mal damit auseinandergesetzt und wie hat da dein Denken und/oder Handeln verändert?
„Es war schon immer da – nur wurde es immer dringender. Im Nachhinein habe ich vielleicht auch deshalb die Konzernwelt verlassen, weil ich anerkennen musste, dass diese Tanker sich nicht verändern können oder wollen – in der Geschwindigkeit, die es eigentlich braucht. Ein Knackpunkt war die Erkenntnis, dass ,das mit den Autos’ nicht göttinnengegeben, sondern menschengemacht ist. Dass das Devote, mit dem ich mich als Mensch ohne Auto durch meine Stadt bewege, unnatürlich und unmenschlich ist. Dass der Stadtraum, auf dem PKW durchschnittlich 23 Stunden kostenlos parken, auch mir gehört. Dass Kinder in Autos zur Schule gefahren werden, weil ihre Eltern den Autoverkehr zu gefährlich für Radfahren erachten. Diese Ungerechtigkeit, aber vor allem das Narrativ, dass Automobilität alle mobil macht, das hat mich aktiviert. Weil Automobilität exklusiv und nicht inklusiv ist.”
3. Was muss sich politisch und/oder gesellschaftlich ändern, damit wir bei diesen Themen endlich vorankommen?
„Sehr schwierige Frage. Ich glaube, als Erstes müssen Menschen, die in Politik und Industrie maßgebliche Entscheidungen treffen können, nicht komplett in ihren Abhängigkeiten versinken. Sondern aufrichtig anerkennen, die Klimakrise abwenden zu wollen – bedingungslos. Es gibt mittlerweile Gutachten, wie das vom Wuppertal Institut und Fridays For Future, aber auch von Think Tanks wie Agora, die sich tief damit beschäftigt haben, was zu tun ist. Gute Nachricht: Noch können wir das 1,5 Grad Ziel, das wir in Paris unterschrieben haben, erreichen. Das hat mich sehr positiv überrascht. Wir müssen aber beginnen mit dem Wandel.
Ebenfalls gefreut hat mich das Bekenntnis von taz und SPIEGEL zur Klimaberichterstattung. Ich setze mich gerade viel damit auseinander, dass es mediale Platzierung der Dringlichkeit dieser Bedrohung geben muss, damit alle sie ernst nehmen – und nicht nur als eines von vielen ,Problemen’ sehen. Die Klimakrise bedroht nicht uns. Aber die Zukunft der nachfolgenden Generationen in Deutschland und Menschen in anderen Ländern. Diese werden von Extremwetterereignissen bereits getötet. Die Lobby der Zukunftsoptimist*innen und Aktivist*innen muss sich mehr Raum verschaffen als die der zerstörerischen Industrien und Passivist*innen.”
4. Was trägst du selbst dazu bei?
„Zunächst versuche ich, möglichst viele meiner eigenen blinden Flecken auszuleuchten. Ich bezeichne mich mittlerweile demütig als Rassistin und Sexistin, weil ich anerkenne, dass ich in einer Zeit und Welt sozialisiert wurde, die mir das eingepflanzt hat. Ich lese zu diesen Themen viel, ich spreche mit Menschen und höre zu. Für die Mobilität habe ich viele Ideen, die ich sehr gerne weitergebe. Ich möchte Menschen in die Lage versetzen, zu erkennen, dass sie sich wieder vom Auto befreien und Lebensqualität gewinnen können. Und mit diesem Wechsel automatisch auch für andere Sorge tragen, denen sie Raum, Ruhe, Luft zurückgeben, den sie sich zuvor nur geliehen haben. Ich möchte dabei am liebsten allen zurufen: Träumt so groß wie ihr könnt! Schafft euch Sehnsuchtsorte, auf die ihr euch zu bewegen wollt!”
5. Wenn du für einen Tag Finanzminister*in wärst, was würdest du tun?
„Alle klimaschädlichen Subventionen streichen und in klimapositive Bereiche umshiften. Mir Gedanken machen, wie wir die 141 Milliarden Euro, die uns Autoverkehr als Folgekosten jährlich in die Gesellschaft gibt, transparent machen und nicht mehr nur solidarisch bezahlen, sondern nach Verursacher*innenprinzip. Es kann nicht sein, dass in diesem Umfang ein Soli auch von jenen ohne Auto bezahlt wird.”
6. Wer inspiriert dich, wenn es darum geht, positive Veränderung zu schaffen – und warum?
„Mich inspirieren meine Eltern, die mir Mails schreiben, wenn sie mal live bei einem Vortrag von mir dabei sein konnten (das ist ,Dank Corona und Homeoffice’ jetzt möglich) und mich in dem bestärken, was ich tue – immer mit dem Rat ,nicht so dolle’ zu sein. Meine Eltern sind Kriegskinder und erkennen ,dennoch’ die Dringlichkeit, die die Klimakrise hat. Mich inspirieren Menschen wie Professor Knoflacher, der in den 70er Jahren begann, Wien autofrei zu machen. Ihn zu interviewen war definitiv eines meiner Highlights 2020. Er ist immer noch so charmant und gut gelaunt mit seinen 80 Jahren – trotz 50 Jahren Kampf gegen das Auto. Mich inspirieren all die Bürgermeisterinnen in Europa (ja, es sind fast nur Frauen), die autofreie Städte ausrufen. Allen voran Anne Hidalgo in Paris.”
7. Wenn ich mir die Zukunft vorstelle, sehe ich …
„Kinder, die lachend auf Fahrrädern nebeneinander durch ihre Stadt fahren und keine Angst haben müssen. Ich sehe ein buntes, fröhliches Mobilitätsaquarium in unseren Städten, wo niemand mehr ein eigenes Auto benötigt. Ich sehe viel Stadtraum und Grün und genieße die Stille. PKW-Fläche wurde zu Stadtraum, wir halten uns gern in diesem auf, er lädt zum Verweilen ein. Und mancher Urlaub wird nicht mehr gebucht, weil Erholung jetzt vor der Haustür beginnt.
Auch der ländliche Raum ist nicht mehr überall auf ein eigenes Auto angewiesen. Die Tausenden von Schienenkilometern, die wir fahrlässig abgebaut haben, sind zum größten Teil wieder vorhanden, manch neue Strecke wurde auf- oder ausgebaut. Autonome Kleinbusse bringen Menschen von ihrer Haustür zum Bahnhof oder zur nächsten Haltestelle. Wir genießen die persönlichen Treffen, machen aber auch viel von mobilen Plätzen aus, sparen so Wege und Zeit. Zeit ist unsere neue Währung, sie wiegt mehr als Geld.”
8. Worauf willst du persönlich gerne zurückblicken können, wenn du älter bist?
„Am besten ist eine Anstrengung und ein Kampf, wenn sich beides gelohnt hat. Ich würde gern mit großer Zufriedenheit auf die aktuelle Zeit in meinem Leben zurückblicken. Mich daran erinnern, wie verzweifelt ich manchmal war. Und an die Menschen denken, die mit mir Allianzen schmiedeten, mich aufrichteten nach jedem Shitstorm. Mit denen ich immer noch verbunden bin. Da wäre vor der Tür mein Hamburg, autobefreit und menschengefüllt. Auch wenn mir das oft unterstellt wird: Ich mache das tatsächlich nicht für mich. Ich will, dass es allen gut geht. Ich liebe es, wenn alle um mich herum glücklich sind. Bestes Gefühl.”
9. Eine Sache, die mir immer wieder Mut macht, ist…
„… dass jede Veränderung mit einem ersten Schritt begann, der verlacht wurde. Die Frauen, die für Wahlrecht kämpften. Rosa Parks, die im Bus sitzen blieb. Der Kampf um die gleichgeschlechtliche Ehe. All das begann mit diesem einen Menschen, der das Gegebene nicht nur hinterfragte, sondern auch aktiv dagegen vorging. Und sei es nur durch Verweigerung konformen, aber ungerechten Verhaltens.”
Welchen Tipp hast du für alle, die Veränderung anstoßen wollen, aber nicht wissen, wo sie anfangen können?
„Mein Tipp: Fangt an. Es ist alles wertvoll. Spendet an Organisationen, die ihr gut findet. Schaut in diesem Internet, ob es diese Gruppen vielleicht auch bei euch gibt. Wenn ihr ein Auto habt, das viel rumsteht: Hängt einen Zettel ins Haus, ob jemand das mal nutzen möchte (aber natürlich Versicherung klären). Macht ein Straßenfest und begegnet euren Nachbar*innen von gegenüber mal einen ganzen Tag. Macht erlebbar, wie sich Verkehrswende anfühlt. Fahrt einen Tag anders als gewohnt zur Arbeit oder zum Hobby. Nehmt eure Kinder mit zur Kidical Mass.
Vor allem aber: Geht mit offenen Augen durch eure Welt und seid ehrlich mit euch selbst: Muss jeder Weg mit dem Auto gemacht werden, nur weil das Auto ,eh da’ ist? Führt mal ein paar Wochen ein Fahrtenbuch mit den Anlässen und der Länge der Fahrten. Über die Hälfte aller PKW-Wege ist unter fünf Kilometer – nicht für jede*n, aber für viele wäre das auch auf dem Rad machbar.”
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