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Kommt nach der Explosion die Besserung?

Mich entsetzt es, wie wir aktuell in Zeiten der Klimakrise miteinander umgehen – obwohl wir (fast) alle postulieren, diese Krise endlich als solche zu begreifen und die Notwendigkeit des schnellen Handelns allmählich zu begreifen. Uns alle eint: Obwohl uns diese Wahrheit seit Jahrzehnten umgibt, waren wir alle mehr oder weniger gut in der Verdrängung dieser Fakten. Die von einigen immer noch geleugnet werden. Man könnte also resümieren: Immerhin einen Schritt weiter.

Aber stattdessen suchen wir jetzt nach dem „anderen“, der „schuldig“ ist. Wir gruppieren uns noch stärker als zuvor in unseren Blasen und zeigen mit dem Finger auf andere. Mein Opa sagte immer: „Lass´ das lieber, es zeigen drei Finger zurück auf dich.“ Recht hat er bis heute. Denn das „an die eigene Nase fassen“ sollte stets erster Akt der Empörung sein. Um mich herum jedoch explodiert gerade das eh filigran gewordene Netz der guten Manieren und des menschlichen Miteinanders.

Heute ging ein Spot von einem „SUV-Fahrer“ viral, der – so zeigt es zumindest der Clip – von Teilnehmenden der Klimademonstration des letzten Freitags in Hamburg beschimpft wurde. Ich habe diesen Clip dutzendfach in meiner Twitter-Timeline wiedergefunden, verbreitet unter anderem von einem Journalisten einer Zeitung, die nicht für detailgenaue Recherche bekannt ist. Ich stelle gleich klar: Ich verurteile das in diesem Clip zu sehende Verhalten. Aber ich werde in meinen weiteren Ausführungen in Frage stellen, ob es allen Verkehrsteilnehmenden unbekannt ist.

Auch heute in der Timeline: Der nächste Vorfall aus der Bildergalerie dieses Artikels. Es geht scheinbar nur noch von einer Empörung in die nächste. Denn dort gibt es das Gruppengefühl, das wir augenscheinlich alle so benötigen, aber in die falschen Bahnen lenken. Wir definieren Gruppe über das „gegen jemand sein, zusammen mit anderen“.

Und Medien wie Twitter arbeiten mit diesen Mechanismen der Empörung. Keine:r von uns weiß, wieviel Manipulation da schon enthalten ist. Das zeigt dieses ebenfalls heute in meiner Timeline gefundene Beispiel des „geschmähten SUVs“, diesmal aus Düsseldorf, das sich mehrfach in gleichem Wortlaut bei verschiedenen Accounts fand. Ebenfalls in der Bildergalerie dokumentiert.

Ich möchte schlicht sensibilisieren, dass wir, die wir etwas verändern wollen, uns nicht instrumentalisieren lassen sollten, in welcher Art und Richtung auch immer. Denn: Wir schaffen das nur gemeinsam. In der größten Gruppe, die wir vereinen können: Uns alle. Und vielleicht ist dann diese Explosion dann doch der Schwenk zum Besseren. Denn: Mich wundert, dass dieser Fahrer und diejenigen, die sich solidarisch mit ihm in die virtuelle Welt stellen, sein Erlebnis als Gipfel des schlechten Umgangs empfinden. Ich als Radfahrerin zumindest bin es seit Jahren schon gewohnt, mindestens einmal die Woche (grob untertrieben) sexistische Sprüche, Beschimpfungen und andere verbale Entgleisungen zu erfahren. Weil ich im Weg bin. Den Autofahrenden. Fußgänger:innen berichten mir wiederum dasselbe von Radfahrenden, die Gehwege nutzen, weil die Straße voll ist. Der Autofahrer an sich scheint diese verbalen Schmähungen und unangenehmen Situationen neu zu erfahren. Was nicht gut ist, aber vielleicht endlich für den Blickwinkel sorgt, den wir brauchen: Mensch ist Mensch, egal, welche Mobilitätsform er nutzt. Und damit hat er zunächst unabsprechbar das Recht, menschlich behandelt zu werden.

Wir werden die aus unserer Sicht „falsche“ Mobilität des oder der anderen nicht ändern, wenn wir ihm oder ihr mit Schmähungen und Besserwisserei begegnen. Es stimmt: Der größte Hebel liegt bei Politik und Wirtschaft. Und ja, ich weiß. Politik hat grad ein mutloses, so genanntes Klimapaket geschnürt – und Wirtschaft verkauft Dinge, die Kund:innen kaufen – und sieht hier noch nicht genug Antrieb zu schnellem Wandel. Und während dieser Entwicklungen stehen wir vor allem im Stau. In der Stadt real, weil die Straßen längst nicht mehr für das Verkehrsaufkommen ausreichen, das wir haben – auf dem Land im übertragenen Sinne durch kaum vorhandenen ÖPNV und ebensolches Internet.

Aber lösen wir all diese komplexen Probleme in konstanter Hysterie und Brüllerei? Wohl kaum. Diejenigen, die heute so breit Solidarität mit dem SUV-Fahrer bekundeten, möchte ich einladen, das mit allen zu tun, die im Straßenverkehr diese Erfahrungen machen.

Ich zerreiße mich grad förmlich in der Rolle der Mediatorin zwischen den Fronten. Denn diese weichen nicht auf durch die wichtige Klimadebatte, sie versteinern. Im SUV kristallisiert sich ein Feindbild, das dem der Radfahrerin, dem des Fußgängers nachfolgt. Nicht zuletzt, weil wir es alle nur noch eilig und keine Zeit für Begegnung haben. Denn die käme bei Rücksicht zustande. Entschleunigung scheint ein Gebot der Stunde. Auch um die eigene und damit allgemeine Aggression zu senken. Ich wünsche mir, dass wir in Sachen „Feindbilder“ einmal hinterfragen, ob diese wirklich an Fahrzeugen festzumachen sind. Oder an fehlenden neuen Konzepten für Städte und ländliche Räume. An fehlenden Alternativen zum Auto, die wir deutlich befördern müssen. Und an fehlendem Augenkontakt im Straßenverkehr.

2 Gedanken zu „Kommt nach der Explosion die Besserung?“

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