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Sven Hillenkamp: Was tun mit der Letzten Generation? Ein Versuch der Einordnung.

Sven Hillenkamp hat sich entradikalisiert. Nach seiner Volljährigkeit war er einige Jahre in hoch radikalen linken Szenen unterwegs, die Nähe zur RAF war unmittelbar, Gewalt gegen Sachen adäquates Mittel des Protestes, Straßenkämpfe mit der Polizei verteidigte er als Sprecher dieser Bewegung. Als jedoch der Genuss an der Gewalt in dieser Szene überhand nahm, verließ Sven diese. Um ohne Übergang in die Bewegungsforschung einzusteigen. Als einstmals Beteiligter aus der Distanz heraus zu beobachten und Studien auszuwerten, die sich radikalen Strömungen der Linken beschäftigen. Sind diese erfolgreich – und wenn ja: Wie kam es zum Erfolg, also der eingeforderten gesellschaftlichen Transformation? Sven arbeitete ein paar Jahre bei der ZEIT, für die er heute Essays über die Klimabewegung veröffentlicht, die er eines Tages vielleicht als Buch oder in anderer Form zusammenführen will.

Dieser Teil seiner Arbeit brachte uns zusammen. Wir haben telefoniert über das Für und Wider der Protestform, die die Letzte Generation auszeichnet: Die Unterbrechung des Alltags durch friedliche Blockaden. Sven lebt mittlerweile mit seiner Familie in Stockholm, er hat mehrere Bücher veröffentlicht und arbeitet aktuell an einem Roman. Die vielen Facetten, die seine Arbeit hat, erlauben ihm die so wichtigen kleinen Fluchten, denn auch Sven kennt die Verzweiflung und die Hilflosigkeit, die Aktivist:innen empfinden, wenn wir Statistiken lesen, dass gerade mal die Hälfte der Bevölkerung die Klimakatastrophe als eine der drängenden Katastrophen ansieht – während uns die Zeit davonläuft. Sven formuliert seine Gedanken in den Essays der ZEIT, auf Twitter, in Podcasts und Interviews. Die Kritik und das Hinterfragen von bestimmten Aktionsformen, ist weder Kritik von außen noch Journalismus, sondern Kritik aus dem Inneren der Bewegung.

Hilflosigkeit führt gerade Gruppen wie „Just stop oil“ und die „letzte Geneartion“ zu Protestformen, die von der Gesellschaft massiv abgelehnt zu werden scheinen – und von der Politik genutzt werden, diese zu kriminalisieren und bis hin zu Hausdurchsuchungen und Gefängnisstrafen mit aller Härte zu behandeln.

Was lief vielleicht auch „schief“ innerhalb der Bewegung?
• Sven hat ein Bild, das er nutzt, um zu verdeutlichen, was innerhalb der linken Bewegung in den letzten Jahren passierte. Es kamen immer neue „Kinder“ in diese Familie, neben dem ersten Kind, der großen Nähe zur Arbeiterschaft Jene, die heute durch den Begriff „Wokeness“ von Konservativen belächelt werden. Trans-, Antirassismus-, Antisexismus- und viele weitere -aktivismen, die in ihrer Dringlichkeit den Kern der linken Bewegung so verbreiterten, dass eben Jene, die sich bisher durch die Bewegung gespiegelt sahen, sich gegen sie wandten. So wird auch bei den Aktionen der „Letzten Generation“ stets der Arbeiter adressiert, der nicht zur Arbeit kommt, oder die Krankenpflegerin, die im Stau stehen muss. Konservative Kräfte nutzen diese vom Aktivismus scheinbar am tiefsten negativ Betroffenen, um Narrative gegen die Protestierenden auf der Straße zu finden – die so gar nicht zu IHREN Kerngruppen passen. Aber für ein emotionales Narrativ geeignet sind. Um das Bild zu erzeugen (das natürlich inhaltlich nicht stimmt): Die linke Bewegung ist „gegen das Volk“.
• Der tiefe Wunsch der Klimabewegung, mit Aufklärung zur Veränderung beizutragen. Die Fakten sprechen doch eine klare Sprache, wenn wir noch diese eine Studie oder diesen einen Text veröffentlichen, dann muss doch endlich klar sein, wie dringend der Handlungsbedarf ist!
• Sven beobachtet zum einen das Tabu der Kritik innerhalb der Bewegung. Zweifel an bestimmten Details des Protests sind gefühlt unerwünscht, wer innerhalb der Bewegung kritisch schauen möchte, ob Erfolge erzielt werden konnten, gerät schnell in die „Out-Group“.
• Auch das schnelle Herabwürdigen „wir haben nichts erreicht“ gegenüber Fridays For Future und anderen Bewegungen ist ein Problem. Ja, es wurde nicht genug erreicht im Sinne politischen Handelns, aber ohne FFF wäre die Klimakatastrophe heute NICHT so präsent, wie sie es ist. Ja, zu wenig. Aber Anerkennung des Erreichten ist wichtig.
• Sehr viele Menschen in der Bewegung wollen aber auch den Austausch. Sven tauscht sich aus mit Fridays for future, Greenpeace, Extinction Rebellion und der Letzten Generation. Trotz seiner teils scharfen Kritik hat Fridays for future Sven zum Beispiel gebeten, beim Jahres-Kickoff die Eröffnungsrede zu halten und den Tag zusammen mit Luisa Neubauer einzuleiten. Diese Offenheit für Austausch und kritische Reflektion, die ich überall sehe, macht Sven Hoffnung für die kommenden Jahre.
• Svens Fazit: Der Kampf gegen die Klimakatastrophe wird wohl nicht mit den Fakten über die Klimakatastrophe gewonnen.

Was heißt das nun?
Wir sind weit gekommen. Wir haben mehr aufgeklärt als jedwede Politik oder Industrie oder Fossillobby. Aus der ersten Phase der Aufklärung, die noch weiterlaufen muss, weil wir noch nicht alle erreichten, muss jetzt die zweite Phase erfolgen: Die Lösungen sichtbar machen. Den Druck auf Umsetzungen dieser Lösungen erhöhen. Vielleicht geht es daher 2023 nicht mehr um den „Alarm“, sondern um Sichtbarmachung und Stärkung jener kleinen Ansätze, die zwar um Längen weniger Budget haben als die Fossillobby, die aber zur Lösung des Problems beitragen. Die Lösung muss greifbarer werden, weil es das Problem nicht ist. Die Klimakatastrophe ist für viele noch zu abstrakt, das sorgt für den Effekt, dass die Abwendung des Problems noch bei vielen die größere Bedrohung ist als die eigentliche Katastrophe. Mit dieser Angst (Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit, Wohlstandszerfall) arbeiten die konservativen Kräfte ja auch bewusst, um die Veränderung gar nicht erst beginnen zu lassen.

WIR müssen der Gegenpol dazu sein. Die Geschichten der Transformation erzählen und zeigen, die beweisen, dass die Abwendung der Klimakatastrophe nicht nur dringlich ist, sondern auch für die „Mitte“, die „Arbeiter:innen“ Mehrwerte generiert, die ihnen heute noch bewusst vorenthalten werden.

Für Barrierefreiheit oder zum Sprachen lernen: Hier findet ihr das vollständige Transkript zur Folge:

Transkription unterstützt durch AI Algorithmen von Presada (https://www.linkedin.com/company/presadaai/)

12 Gedanken zu „Sven Hillenkamp: Was tun mit der Letzten Generation? Ein Versuch der Einordnung.“

  1. Interessante Ausführungen. Da ich die Arbeit der Letzten Generation als Teil eines sehr dynamischen Prozesses sehe, glaube ich auch nicht an ein Erstarren dieser Protestform. Mehr Sorge mache ich mir um die persönlichen Schicksale der Beteiligten, sollte es passieren, dass sie sich in ein Art übermenschlichem Verantwortungsgefühl festfahren und sich nicht mehr als Rädchen eines Prozesses begreifen, als Teil einer größeren Bewegung, die sie immer wieder mit Distanz betrachten müssen, um sich selbst darin möglichst wirkungsvoll auszurichten.

    1. Absolut, ich versuche auch grad eine Person für meine „Ausgabe 100“ im Podcast zu finden, die mit mir über Resilienz spricht. Gesundbleiben ist auch für mich eine große Herausforderung in meinem Aktivismus.

  2. Abend Katja,
    sehr schön geschrieben. Podcast höre ich mir morgen an.
    Allerdings ist die „Klimakatastrophe“ ein beschönigtes Wort für das Ende der Menschheit.
    glg
    Heiko

    1. Klimawandel finde ich noch unangemessener. Und „Ende der Menschheit, wie wir sie heute kennen“ würde aktuell leider kaum jemand auf die Klimakatastrophe beziehen 🙁

  3. Ich glaube es ist vielen noch nicht Bewusst wohin die Klima-katastrophe – Wandel führt. Geht es um Eisbären, Korallenriffe oder um die Gletscher? Wenn Symptome durch “ Hitze resistentere Bäume“ behandelt werden muss doch dass eigene Verhalten nicht geändert werden, oder? 😉
    Ich halte uns die Daumen

  4. Kleine Ergänzung zum letzten Absatz:
    „WIR müssen der Gegenpol dazu sein. Die Geschichten der Transformation erzählen und zeigen, die beweisen, dass die Abwendung der Klimakatastrophe nicht nur dringlich ist, sondern auch für die „Mitte“, die „Arbeiter:innen“ Mehrwerte generiert, die ihnen heute noch bewusst vorenthalten werden.“

    Warum Arbeiter: innen? Warum die Menschen über den Prozess definieren, dem sie unterworfen sind, und nicht darüber wo sie sich selbst definieren und entfalten können, nämlich das Viertel, die Nachbarschaft?
    Es gibt die Mitte nicht im Werksgelände, wenn überhaupt, kann es sie nur dort sein, wo die Menschen mit sich unter anderen sind, wo sie ihr Leben gestalten, ihr soziales Umfeld, ihr Lebensumfeld.

    Insgesamt sehe ich die Aktionen der letzten Generation als Paukenschläge innerhalb eines Orchesters der Klimagerechtigkeitsbewegung, es geht weniger darum zu kritisieren, sondern mehr darum, für die nächsten Einsätze der anderen Instrumente zu sorgen, damit das Konzert zu einem mitreißenden lebensvollen Konzert wird.
    Stellt euch vor, das Leben wird ein Wunschkonzert! Und es hängt nur davon ab, die Menschen von der Fülle des Lebens zu begeistern und an die Kraft ihrer Träume glauben zu lassen!
    Und wo könnten wir das mehr als vor Ort, als Feste in ihren Straßen, wo sie wohnen, wo sie ein Bewusstsein für ihre Nachbarschaftlichkeit und Selbstwirksamkeit entwickeln können, und wir in barrierefreien Gesprächen (also ohne Besserwisserei und moralischer Selbsterhebung) in Geschichten Bezüge zwischen den kleinen Vernetzungen im Viertel (und der Stadt) und den großen Zusammenhängen zur Menschheit und ihres Überlebens in Würde herstellen.

    1. Oh wow – dein Text ist unfassbar lyrisch und berührend.
      Spannend: Auch ich nutze das Bild des Orchesters, nur etwas anders 🙂
      2022 war ich auf Singer-/Songwriter-Tour Autokorrektur und wünsche mir 2023, dass alle ein Instrument mitbringen, das ihnen gefällt – auf dass wir ein fröhliches, vielfältiges Orchester werden.

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