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Matthias Heskamp: Wie wird aus dem Hochbahnviadukt der U1 die „Radbahn“ – und warum ist das Reallabor und nicht Utopie?

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Mein zweites Buch „Raus aus der AUTOkratie – rein in die Mobilität von morgen!“ kann ab sofort vorbestellt werden. Ich freue mich, wenn du das machst, denn das hilft nischigen Sachbüchern wie dem meinen, wahrgenommen zu werden. Ihr wisst schon: Kapitalismus – Carpitalism – und dann erst das Paradies für alle 🙂

Städte sind Orte der ständigen Veränderung, wo immer wieder neue und vor allem unterschiedliche Perspektiven sich vermischen. Als solche sind Städte geeignete Laboratorien für zukunftsweisende Innovationen. Doch in der Moderne hat das Streben nach technologischem Fortschritt zu einer Entfremdung von unserer Umwelt, unseren Mitmenschen und sogar von uns selbst geführt. Mit Blick auf unsere Städte wird das besonders deutlich. Der öffentliche Raum wird zu einem Ort der Isolation, denn häufig befahren wir die Straßen in Autos oder rauschen mit dem Roller oder Fahrrad an unseren Mitmenschen vorbei. So kommen nur selten zufällige Begegnungen und Gespräche zustande. Das menschliche Bedürfnis, mit anderen in Austausch zu stehen und gemeinsame Erfahrungen zu machen, braucht es eine bewusste Form der Fortbewegung, die den derzeitigen Status quo der Auto-Prävalenz und der Selbstisolierung im öffentlichen Raum durchbricht.

Der Mann, der mit anderen zusammen hier unter dem Vereinsnamen paperplanes Dinge vorantreibt, ist Matthias Heskamp, gelernter Architekt mit zehn Jahren Ausbildung in Portugal beim Pritzker-Preisträger Álvaro Siza in Porto. Von ihm lernte er, „sich in Räume weit reinzubeugen“ und zu schauen, wie Menschen diese nutzen – und wie Räume den Menschen dienlich sein können. Denn davon haben wir uns wegen unserer Autozentrierung leider massiv entfernt.

Ich spreche mit ihm über das Glück, das uns „droht“, wenn wir Städte den Menschen wieder zurückgeben. Matthias hat dieses Glück selbst erzeugt, indem er vor seinem Büro Autoabstellplätze in Begegnungszonen verwandelte. Innerhalb kurzer Zeit lernte er so das Zigfache an Nachbar:innen kennen, als er zuvor getroffen hatte. Sogar Geschäftliches hat er vor dem Büro abgeschlossen. Und das zeigt den Zauber, den zufällige Begegnungen haben: Sie erzeugen Mehrwerte, die wir uns aktuell nehmen lassen, weil wir Autos priorisiert haben.

Wenn die Autos weg sind, kommen auch Kinder wieder zum Spielen: Visualisierung aus dem „Manifest der freien Straße“. © paper planes e.V.

Das Manifest der freien Straße hat sieben Thesen:

  1. Die Straße ist unser Treffpunkt mit dem Fremden. Verändern wir Straße – verändern wir Gesellschaft.
  2. Die Nutzung des Stadtraums als Parkplatz ist ein fundamentales Missverständnis. Echte Freiheit beginnt jenseits unserer privaten Autos. Befreien wir uns von ihnen!
  3. Befreite Straßen sind Lebensadern des Fortschritts. Sie versorgen uns zuverlässig und schaffen neue Räume für Kreativität und Innovation.
  4. Befreite Straßen sind charmante Einladungen.Befreite Straßen sind charmante Einladungen. Auf ihnen sind alle Menschen sicher, gesund und gerne unterwegs.
  5. Befreite Straßen schützen unser Leben und das der kommenden Generationen. Mit ihnen lassen sich Extremwetterlagen besser bewältigen.
  6. Um Straßen zu befreien, braucht es politischen Willen. Konflikte müssen ausgehalten, Neues muss gewagt und manches auch wieder verworfen werden.
  7. Um Straßen zu befreien, braucht es Pioniere. Wir alle können diesen Kulturwandel mitgestalten.

Hier erfahrt ihr mehr über das Manifest der freien Straße.

Leitbild der Radbahn von Lena Kunstmann.

Ein Projekt in und für die Stadt, in der Matthias lebt, ist die Radbahn. Die Vision entwickelte sich 2014 ausgehend von der Idee, dem weitgehend vergessenen Raum unter dem denkmalgeschützten Hochbahn-Viadukt der Berliner U-Bahn-Linie U1 neues Leben einzuhauchen. Dieser Raum soll vor dem Hintergrund dringlicher städtischer Herausforderungen wie der Verkehrswende und nachhaltiger Stadtentwicklung neu erleb- und buchstäblich erfahrbar gemacht werden.

Geschützt vor Wind und Wetter soll ein circa neun Kilometer langer Radweg teils unter, teils entlang der U-Bahn-Linie, vom Bahnhof Zoo im Westen der Stadt bis zur Oberbaumbrücke im Osten der Stadt führen. Hier können Groß und Klein sicher – und größtenteils getrennt vom restlichen Verkehr – durch drei Berliner Bezirke rollen und deren Charakter erkunden. Die Radbahn ist dabei nicht „nur“ ein Radweg, sondern ein vielfach erfahrbarer Stadtraum, der die unterschiedlichen Bedarfe vieler Bürger:innen adressiert. Ein erster Teil der Radbahn wird am 1. April 2024 in Kreuzberg eingeweiht.

2 Gedanken zu „Matthias Heskamp: Wie wird aus dem Hochbahnviadukt der U1 die „Radbahn“ – und warum ist das Reallabor und nicht Utopie?“

  1. Geschützte und auch sonst verbesserte Fahrradinfrastruktur wäre sicher eine gute Maßnahme. Aber wo soll das Mehr an Fahrradfahrern ihre Fahrräder dann hinstellen, wenn sie am Büro angekommen sind?

    Ich versuche seit ein paar Jahren, die Verwandlung zumindest eines Teils der „Autoabstellplätze vor meinem Büro“ in Fahrradabstellplätze anzuregen. Bis ca. 2018 hat es die Stadt Nürnberg leider einen Dreck interessiert, ob die im Bauplan eingetragenen Fahrradabstellplätze wirklich realisiert werden oder nicht, Hauptsache die vorgeschriebenen Autoparkplätze waren da. Ergebnis war hier, knapp dreihundert PKW-Stellplätze und 8 Fahrradabstellplätze (= 4 Anlehnbügel). Laut Fahrradabstellsatzung wären für die zusammengehörigen Gewerbemietimmobillien ca. 130 Fahrradabstellplätze nötig gewesen, die man aber billig ablösen (oder einfach gar nicht bauen) konnte. Da es im Gewerbegebiet keinen Quadratmeter öffentliche Fläche gibt (außer den Fahrbahnen), kann man sein Fahrrad auch nicht irgendwie in die Pampa stellen. Nach Intervention kamen entlang der Durchfahrten ein paar Felgenklemmer möglichst weit von den Büros entfernt hinzu, die von den rangierenden Lieferdiensten (die, die im Stand typischerweise ihren Dieselstinkermotor laufen lassen) aber teilweise schon verbogen sind.

    Den meisten Beschäftigten und eingemieteten Arbeitgebern ist das Problem mit den fehlenden Fahrradabstellplätzen leider völlig wurscht. Die haben ja schöne und kostenlose Autoparkplätze (ein am Gewerbepark vorbeilaufende Autobahnteilstück wurde bereits zur Zeit des Dritten Reichs realisiert, und später von der Kfz-Kapazität verzehnfacht, entsprechend hoch ist die Freude am schnellen Autoverkehr). Die Stadtverwaltung verweist auf die neu geplante Stellplatzsatzung, die den Gewerbeimmobilienbestand aber nicht betrifft, sondern nur neu zu betonierende Gewerbeflächen.

    Mein Vorschlag wäre ja, die Gewerbeimmobilienbesitzer nachträglich von bis zu 10% der ursprünglich verpflichtend zu bauenden PKW-Stellplätze freizustellen, wenn sie dann an dieser Stelle „gute“ Fahrradabstellplätze errichten.

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