Dieser Artikel erschien im DBB-Magazin, die gesamte digitale Ausgabe findet sich hier.
Verkehrswende ist menschlich – nicht technisch
Wir haben in Deutschland ganz gewiss kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem, wenn es um die dringend erforderliche Verkehrswende geht. Aus guten Gründen war das Auto lange Zeit ein Symbol für den wirtschaftlichen Aufschwung nach den schweren Kriegsjahren, ein Symbol für wiedererlangte Freiheit und Reisen. Mittlerweile haben wir aber fast 49 Millionen PKW in Deutschland, die Städte stehen im Stau und einst gesunde ländliche Räume sind durch Wegsparen der Alternativen vom Auto abhängig geworden. Nicht zuletzt ist es die Abwendung der Klimakrise, die zeigt, dass sich etwas ändern muss. Denn: Die Emissionen im Verkehrssektor steigen, weil die Effekte immer besserer Motorentechnik durch die Entwicklung hin zu immer größeren Fahrzeugen förmlich egalisiert werden. Doch wie starten wir nun endlich den Wandel? Sind es wirklich nur Angebote, die diesen einleiten – oder brauchen wir ein Umdenken, um Verhalten der Mobilität zu ändern?
Manchmal sind es ganz einfache Fragen, die gewohnte Verhaltensweisen zu reflektieren helfen. In Sachen der Verkehrswende stelle ich gern die Frage: „Willst oder musst Du Auto fahren?“ Nicht selten erntet diese Frage ein Stirnrunzeln – dann eine kurze Pause und das Bekenntnis: „Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber jetzt, wo du mich das fragst: Es stimmt! Ich muss Auto fahren!“ Die Gründe für Automobilität sind vielfältig – und sicher gibt es auch Menschen, die einfach gern Auto fahren. Aber nicht selten ist der Grund für Automobilität das Fehlen von Alternativen, der Wunsch nach Sicherheit für sich selbst oder die Menschen im Auto oder ein Job, der ohne Auto nicht zu erreichen wäre. Ist das gut so? Für ein hoch entwickeltes Land wie Deutschland? Oder sollten wir das verändern im Sinne einer guten und vor allem auch klimabewusst lebenden Gesellschaft?
Beleuchten wir die genannten Beispiele doch einmal genauer.
„Ich lebe im ländlichen Raum.“ Diese Aussage hat in den seltensten Fällen statistische Grundlage, es ist meiner Erfahrung nach eher die Abwesenheit von Alternativen zum Auto, schnellem Internet und guter Nahversorgung. Es gab in Deutschland durch den PKW gerade auch in Regionen jenseits der Metropolen eine Entwicklung, die vom Auto abhängig machte. Buslinien wurden eingespart, allein in den östlichen Bundesländern wurden nach der Wiedervereinigung 40 Prozent der Schienenstrecke stillgelegt. Dies sind jetzt vor allem die Regionalverbindungen, die uns fehlen, um auch ohne Auto mobil zu sein. Hinzu kam der Trend, dass viele kleine Bäckereien und Supermärkte, aber auch Ärzt:innen und Freizeiteinrichtungen auf „die grüne Wiese“ zogen. Das machte die Wege auf dem Land länger. Die Zahl der Wege hat sich nicht geändert, die Länge der Wege zum Job, zu Hobbies oder auch anderen Zielen wuchsen jedoch. Weil wir das Auto haben. Ist das gut so?
Statistisch erwiesen ist auch, dass u. a. Frauen und rassistisch diskriminierte Personen lieber mit dem Auto fahren, auch wenn sie die Möglichkeit hätten, den ÖPNV zu nutzen. Der Grund? Sie haben im PKW ihren eigenen „safe space“, müssen im Dunklen nicht im öffentlichen Raum sein, der ihnen keinen Schutz vor Angriffen bietet. Aber auch Eltern werden mit der Geburt ihrer Kinder nicht selten wieder zu Autofahrer:innen, weil sie den Straßenverkehr als zu gefährlich erachten.
Ich glaube, um eine Verkehrswende gut für alle zu gestalten, braucht es weniger der technischen Innovationen – die sind meiner Einschätzung nach alle schon da und müssen nur noch in Details weiter entwickelt werden. Es geht darum, Mobilität anders, inklusiver und empathischer zu denken. Um das zu können, müssen wir vor allem unsere eigenen „blinden Flecken“ ausleuchten. Denn meine Mobilität, die einer gesunden weißen Frau, entspricht in gewisser Weise einer deutschen Norm, aber bei weitem nicht der Bedürfnisse anderer Menschen. Ich sehe daher in der Verkehrswende eine tolle Möglichkeit, eine lebenswerte Zukunft für alle mit einem Grundrecht auf Mobilität zu gestalten
Gerne mache ich dies an einem Beispiel deutlich.
In Oberbayern – startend in Murnau – ist seit einigen Monaten das StartUp omobi tätig. Bei diesem Angebot kommen zwei Kernkompetenzen zusammen: Einmal die Verbundenheit der Gründer mit ihrer Region, die zuvor nur ein sehr rudimentäres Nahverkehrsangebot hatte, zum anderen die digitale Kompetenz des Technikpartners door2door aus Berlin. Das Produkt? Ein digitaler Rufbus. Bestellt per App und auf virtuellen Haltepunkten basierend, erfreut er sich seit dem Start hoher Beliebtheit. Er wird genutzt von Eltern, die für zwei Euro ihre Kinder zur Schule fahren lassen und so Zeit für sich gewinnen, von Senior:innen, die sich lieber fahren lassen wollen als noch selbst zu fahren, und von Tourist:innen, die mit omobi vom regionalen Bahnhof aus zu ihren Zielen fahren und das eigene Auto zuhause lassen können. Infos unter https://www.omobi.de/ und https://door2door.io/de.
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