Frau Diehl, Sie sind ja in sozialen Netzwerken sowie mit Ihrem Podcast „She Drives Mobility und Ihrem Buch „Autokorrektur“ so etwas wie eine Mobilitätsinfluencerin. Ist das noch Beruf oder schon Berufung?
Das ist definitiv Berufung. Das, was ich aushalten muss, macht man nicht in einem Angestelltenverhältnis. Mir sagen Menschen, dass sie bewundern, wie ich das alles mache. Aber ich habe ja keine Wahl. Ich stehe nicht jeden Tag auf und sage: „Juhu, jetzt wieder ein Stück Autokorrektur“, sondern das ist eine Mission, die mich gefunden hat. Und das ist Fluch und Segen zugleich.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Rolle als „Anti-Auto-Aktivistin“ übergestülpt wird?
Ja, ich werde da oft reingedrängt. Und es ist auch leicht, mich so zu lesen. Aber ich will nicht unbedingt gegen etwas arbeiten, sondern für Menschen. Ich will – auch für Leute im ländlichen Raum – eine Zukunft schaffen, in der sie die Wahl haben, kein Auto fahren zu müssen. Mit „Autokorrektur“ wollte ich ein Buch schreiben, das zur Empathie einlädt, nicht zu einem „Gegeneinander“.
In sozialen Netzwerken bekommen Sie regelmäßig Shitstorms ab. Einige Kommentatoren scheinen sich von Ihren Thesen angegriffen zu fühlen. Warum ist Autofahren für viele so ein emotionales Thema?
Deutsche Autofahrerinnen und Autofahrer haben aktuell unheimlich viele Privilegien: Alles um sie herum ist auf das Auto zugeschnitten. Das zu erkennen und zu hinterfragen fällt vielen schwer. Ein Auto oder ein Wohnmobil zu haben ist mehr als Mobilität, um von A nach B zu kommen, sondern auch ein Safe Space.
Und für viele ist das Auto ein mitnehmbares Statussymbol, das finanzielle Erfolge darstellt. Dieses Symbol nehme ich Menschen vermeintlich weg – und teilen wollen sie es auch nicht.
„Unser aktuelles Verkehrssystem ist queer- und behindertenfeindlich, rassistisch und sexistisch.“
Autos sind auch ein Safe Space? Können Sie das erklären?
Unser aktuelles Verkehrssystem ist queer- und behindertenfeindlich, rassistisch und sexistisch. Für mein Buch „Autokorrektur“ habe ich zum Beispiel mit einer trans Frau, die eine Frau liebt, gesprochen. Sie wurde zweimal im öffentlichen Raum richtig doll zusammengeschlagen. Ihr Auto ist ihr Safe Space: Damit kann sie sich „unsichtbar“ und sicherer in der Öffentlichkeit bewegen als im ÖPNV. So ähnlich geht es vielen queeren Menschen, People of Color oder behinderten Menschen. Und viele Frauen fahren zum Beispiel abends lieber Auto, als dass sie sich in einen öffentlichen Bus setzen.
Warum ist das Auto Ihrer Meinung nach trotzdem nicht die Lösung für alle?
Weil 13 Millionen Erwachsene in Deutschland keinen Führerschein und 45 Prozent der Menschen in Armut kein Auto haben. Es ist keine Lösung, wenn nicht jeder von uns Zugriff auf diesen Safe Space hat. „Mobilitätswende“ bedeutet auch anzuerkennen, dass die Bedürfnisse an Mobilität in Sicherheit und Barrierefreiheit vielfältig sind. Wenn wir die berücksichtigen, tun wir etwas für uns alle. Aber die meisten wollen erst mal, dass es ihnen selbst gut geht.
Und vielen Menschen geht es ja auch gut mit dem Status quo, dass sich ein Auto nur 45 Minuten am Tag bewegt. Der Status quo ist aber kaputt. Mir wird immer gesagt: „Du musst auch alle, die jetzt im Auto sitzen, mitnehmen.“ Da muss man ehrlich sagen: Die anderen warten aber seit Jahrzehnten darauf, dass sie mitgenommen werden! Damit rüttle ich ziemlich an den Grundfesten. Und ganz oft schreiben mir Männer, ich soll mit diesem Feminismus aufhören und nur über Mobilität schreiben.
Was verabscheuen Sie mehr: die Autodominanz in Deutschland oder das Patriarchat?
„Verabscheuen“ tue ich ganz wenige Sachen. Ich verstehe diese Negativität der Gefühle nicht. Wenn man das Wort aber nehmen will, verabscheue ich tatsächlich die Diskriminierung von Menschen. Ich verabscheue es, ein System als funktional und für alle passend zu verkaufen, das viele Menschen ausschließt: 26 Millionen Menschen in Deutschland können nicht selbst aktiv Auto fahren. Beim Thema Autofahren ist ganz viel Privileg, Lüge und Selbstbetrug dabei, sodass das Auto überhaupt seine Dominanz bekommen konnte. Zu behaupten, dass es diese Dominanz von selbst bekommen hat, wäre falsch.
Was meinen Sie mit „Lüge und Selbstbetrug“?
Wenn das System „Auto“ auf dem freien Markt wäre, hätte es sich schon längst reguliert. Es ist aber komplett weg vom freien Markt, weil wir da Subventionen und Steuergelder reinstecken, Kosten externalisieren – etwa für Straßen und Parkflächen – und akzeptieren, dass sieben bis acht Menschen am Tag sterben.
Und auch wenn wir die versunkenen Kosten fürs Auto und Fahrzeiten fürs Pendeln an den Stadtrand oder aufs Dorf zusammenrechnen, dann könnte man sich wahrscheinlich auch eine Wohnung in der Stadt leisten … Das meine ich mit Lüge und Selbstbetrug.
Aber ist es bei den Unterschieden zwischen Stadt und Land und der Art, wie und wo Menschen arbeiten, nicht trotzdem etwas elitär, den kompletten Autoverzicht zu fordern? Muss man sich ein autofreies Leben nicht auch leisten können?
Nein, überhaupt nicht. Ich sage nicht „Du sollst nicht Auto fahren!“, sondern ich sage „Jeder Mensch sollte das Recht haben, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können“. Abhängigkeit von einer einzigen Mobilitätsform ist immer toxisch. Das kann immer schiefgehen. Ich bin in dem Sinne privilegiert, dass ich die Möglichkeit habe, meine Stimme zu erheben für die Leute, die zum Beispiel prekär arbeiten.
Das aber so zu deuten, dass die Verkehrswende ein elitärer Diskurs ist, ist falsch. Da gibt es auch dieses tolle Zitat vom Bürgermeister von Bogotá, der gesagt hat: „Ein entwickeltes Land erkennst du nicht daran, dass die Armen Auto fahren, sondern dass die Reichen im ÖPNV sitzen.“
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Sie haben mal in einem Vortrag ein bisschen zynisch erklärt, wie man die Erfindung des Autos heutzutage bei der „Höhle des Löwen“ anpreisen würde.
Ja. „Ich habe hier zwei Tonnen Stahl, die bewegen sich 45 Minuten am Tag mit 80 Kilo Mensch – und ansonsten stelle ich sie in den öffentlichen Raum. Deal or no deal?“ Das würde heute nicht mehr durchkommen, das ist aus der Zeit gefallen.
Welche Fakten und Mythen übers Autofahren stören Sie am meisten?
Erstens, dass der hohe Autoabsatz mit dem Erfolg vom Auto verwechselt wird und nicht als Misserfolg von Verkehrspolitik verstanden wird. Wenn Alternativen da wären, wären gerade Menschen in Armut die ersten, die die Karre abschaffen würden und lieber ein paar 100 Euro mehr in der Kasse hätten.
Krass ist auch, dass sich immer nur 10 Prozent aller Autos gleichzeitig bewegen – nie mehr. 90 Prozent der Autos stehen immer rum. Wenn alle Deutschen in alle Autos steigen würden, die es gibt, würden alle Rückbänke frei bleiben. So überversorgt sind wir. Und was sich als Mythos hält, ist, dass die KFZ-Steuer alle Kosten für das Auto deckt. Das finde ich so unfair: Bei neuen Mobilitätsformen wird immer genau hingeguckt, was sie „den Steuerzahler“ kosten und was sie bringen – und das Auto kostet uns alle Milliarden.
Wie kann denn eine Verkehrs- bzw. Mobilitätswende gelingen? Was braucht es Ihrer Meinung nach?
Es fehlt eine Führungskraft an der Spitze vom Verkehrsministerium, die die Mobilitätswende wirklich will und den Pariser Klimavertrag ernst nimmt. Und ich glaube, es muss vor allem Diversität an die Tische der Entscheidung. Am liebsten sollten wir bei Kindern beginnen, dass sie mitreden können und Dinge infrage stellen. Die sind ja in der Mobilität komplett limitiert. Wenn sie das Laufen lernen, feiern wir das total. Im nächsten Moment bringen wir ihnen aber bei: „Pass auf, da draußen ist es gefährlich, da sind die Autos.“
„Wir müssen die Dinge, die wir gerade tun, hinterfragen. Warum fördern wir eigentlich noch den Autokauf?“
Und wir brauchen Politikerinnen und Politiker, die einen anderen Blick auf Mobilität haben und nicht am Auto hängen, sondern das ein bisschen rationaler sehen. Wir müssen das Auto nicht verteufeln – das wird immer auch eine Rolle spielen. Aber die Politik muss da pragmatischer rangehen und die Pariser Klimaziele wirklich als Führungsinstrument begreifen: Wenn wir zum Zeitpunkt X klimaneutral sein wollen, welche Probleme müssen wir lösen? Wir müssen die Dinge, die wir gerade tun, hinterfragen. Warum fördern wir eigentlich noch den Autokauf? Sind wir auf dem Pfad, CO₂-neutral werden zu wollen oder sagen wir das nur? Und dann glaube ich, kann man das auch der Bevölkerung vermitteln.
Wird das ohne Verbote klappen?
Natürlich braucht es dafür Regeln, die sich für viele Autofahrende vielleicht wie Verbote anfühlen werden. Und einige Verbote sind ja auch gut und richtig: dass wir uns anschnallen sollen, nicht alkoholisiert fahren dürfen, das Rauchverbot. Es ist ja auch verboten, einen Menschen zu töten.
Die Mobilitätswende klappt auch wegen vieler struktureller Probleme noch nicht. Wie viel kann ich da als Individuum überhaupt erreichen – und wie viel Verantwortung muss ich übernehmen?
Die Mobilitätswende können wir nicht allein schaffen, aber wir können ehrlicher zu uns selber sein. Ich finde: Bei jedem Autoweg, den du antrittst, solltest du dich fragen: Mache ich das, weil ich keine Alternative habe? Oder mache ich das, weil es regnet und ich bequem bin? Und bei jedem fünften „Bequem“, muss ich ein anderes Transportmittel nehmen. Warum fährt man mit dem SUV zum Spinning-Kurs?
Wir müssen auf jeden Fall die strukturellen Probleme lösen, aber auch unsere Privilegien hinterfragen und uns an die eigene Nase fassen. Es ist ja nicht unbekannt, dass das reichste Prozent der Menschheit für 25 Prozent des CO₂-Ausstoßes verantwortlich ist. Bei mir im Wohnviertel haben jetzt viele einen Bulli. Die Menschen stellen dieses Tiny House, das sich dreimal im Jahr bewegt, in den öffentlichen Raum, statt es zu leihen. Teilweise verschulden sie sich dafür! Das ist nicht nur irrational, sondern auch elitär und privilegiert. „Wohlstandsverwahrlosung“ kann man das auch nennen.
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