Ich stehe mit einem Leihrad auf der Straße, ein riesiger Pick Up fährt an mir vorbei. Spruch: "Adultismus in der (Auto-)Mobilität.

Altersdiskriminierung von Kindern mit Schwerpunkt Mobilität – Auszug aus „AUTOkratie“.

Auszug aus meinem neuen Buch „Raus aus der AUTOkratie – rein in die Mobilität von morgen.

Der erste Schritt des Kindes wird noch bejubelt, alle familiären Chatgruppen mit diesem überschwemmt. Danach lernt das Kind sofort, diese Selbstbestimmung im Draußen wieder aufzugeben. Draußen geht nur in Begleitung Erwachsener, denn für Kinder wurde diese Welt nicht geschaffen. Sondern für Autos.

Weil mich das schmerzt, gehe ich auf das Phänomen des »Adultismus« ein

Wie konnte es so weit kommen, dass der Deutschen liebstes Kind das Auto wurde – und nicht, was naheliegen würde, das Kind? Stellen Sie sich mal vor, die Welt würde den Bedürfnissen von Kindern folgend umgebaut. Ich glaube, da hätten wir Erwachsenen jede Menge Platz – im Gegensatz zu der Einschränkung, die die erwachsene Welt für die Kinder bedeutet.

Die dreckigsten Momente bei der Autofahrt mit Verbrennungsmotoren hat der Wissenschaftler Eggenschwiler in eine griffige Formel gepackt: »Fünf Minuten Autofahrt direkt nach einem Kaltstart können schädlicher sein als 1300 Kilometer mit warmem Motor. […] Mehr als 80 Prozent der Emissionen gelangen in den ersten 30 Sekunden einer Stadtfahrt an die Luft.“

Es kommen mittlerweile Kinder mit Asthma auf die Welt, bevor sie ihren ersten Atemzug machen, sind sie schon krank. Weil sie im Mutterleib diesen Giften ausgesetzt wurden. Atemwege werden gereizt, Lungenerkrankungen häufen sich. Die Luftverschmutzung ist in Innenräumen, laut US-Behörde EPA, bis zu fünfmal so hoch wie in Außenbereichen. Das liegt daran, dass in der Außenluft Schadgase (wie z. B. Ozon oder Stickoxide) und Schadstoffe (etwa Feinstaub oder Mikroorganismen) verteilt werden. In Innenräumen hingegen steigt die Konzentration dieser Schadstoffe. Bei langen Autofahrten macht sich das besonders bemerkbar. Kinder, die auf dem Rücksitz von Autos sitzen, sind gefährlichen Werten der Luftverschmutzung ausgesetzt, so der britische Chemiker Professor King. Eltern fahren seiner Forschung nach vielleicht ein sauberes Fahrzeug, aber ihre Kinder sitzen in einer Box, die die giftigen Gase aller Fahrzeuge um sie herum aufnimmt.

Eine Lady, die all die Nachteile für Kinder nicht akzeptieren will, ist Jemima Hartshorn, Mutter von zwei Kindern aus London. Sie hat Mums for Lungs gegründet, sieht Luftverschmutzung als eine Krise der öffentlichen Gesundheit an, auch weil gewählte Politiker:innen hier nicht das Notwendige tun, um sie zu bekämpfen. Und ja: Unter diesen Müttern sind auch welche, die Auto fahren müssen, sich aber bewusst sind, was sie damit der Gesundheit ihrer Kinder antun (müssen). Eine aktuelle Aktion von ihnen nennt sich »Ditch Diesel«. Einer von zehn Fällen von Lungenkrebs ist auf Luftverschmutzung zurückzuführen. Diesel ist die größte Quelle von Stickoxiden (NOx) und Stickstoffdioxid (NO2) – 2019 machten Dieselfahrzeuge 40 Prozent der gesamten NOx-Emissionen in London aus. NOx und NO2 schädigen Lungen und sind eng mit Asthma und Keuchhusten im Kindesalter verbunden. Kinder, die in London leben, sind sehr gefährdet, lebenslange chronische Erkrankungen zu entwickeln, einschließlich unterentwickelter Lungen, Asthma, Bluthochdruck, Unkonzentriertheit und Hyperaktivität sowie psychische Erkrankungen. 2021 / 2022 wurden mehr als 2800 Kinder und Jugendliche mit Asthma in London ins Krankenhaus gebracht,ein Anstieg von 64 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wie wichtig die Arbeit von NGOs wie Mums for Lungs ist, zeigt die Ultra Low Emission Zone (ULEZ) in London. Mums for Lungs hat ab 2018 für die Einrichtung dieser Zone geworben. Im April 2019 führte der Bürgermeister Londons die weltweit erste Zone dieser Art im Stadtzentrum ein. Am 25. Oktober 2021 wurde diese auf das gesamte Innere Londons ausgeweitet. Die ULEZ umfasst vier Millionen Menschen – 44 Prozent der Londoner Bevölkerung. Sie hat zu massiven Reduzierungen der NO2-Belastung geführt,16 56 Prozent weniger im Zentrum von London, 47 Prozent in der Innenstadt und 37 Prozent im äußeren London im Vergleich zum Vorjahr! Die ULEZ hat zudem dazu geführt, dass Menschen ihr Auto abgeschafft haben und zu nachhaltigeren Transportmöglichkeiten gewechselt sind, weil ihnen die Problematik ihres Autokonsums bewusst gemacht wurde. Schon jetzt täglich 74 000 Autos weniger.

»Es ist der größte Einfluss auf die Luftqualität durch ein Verkehrsmanagement, das ich je gesehen habe«, fasst Dr. Ian Mudway, School of Public Health, Imperial College London, zusammen.

Was sind die Erkenntnisse der ULEZ?
Die ULEZ trägt dazu bei, die Ungerechtigkeit in der Belastung durch Schadstoffe zu minimieren, da vor allem BIPoC und Menschen in Armut an hoch belasteten Straßen leben und / oder arbeiten (müssen), selbst aber den geringsten Autobesitz haben. Die Einnahmen aus der ULEZ, die durch ein Mautsystem erzielt werden, kommen den Verbesserungen der Radwege, Busse und U-Bahnen zugute. 2022 sank der Anteil der in London von Dieselfahrzeugen gefahrenen Kilometer um 32 Prozent auf 25 Prozent in der Londoner Innenstadt.

Aber auch ein anderer wesentlicher Aspekt treibt Jemima Hartshorn um.

Babys sind in den ersten zwei Lebensjahren sehr abhängig von ihren Eltern. Hier finden große Gehirnentwicklungen, Wachstum und Neuronenentwicklung statt. Die Gehirnentwicklung von Säuglingen (sowie ihre soziale, emotionale und kognitive Entwicklung) hängt von einer liebevollen Bindungsbeziehung mit ihnen zugewandten Erwachsenen, meist den Eltern, ab. Es gibt immer mehr Studien aus der Entwicklungspsychologie und Neurobiologie, die besagen, dass hier ein Mangel zu reduzierter kognitiver Entwicklung und mangelndem Selbstwertgefühl führen kann. Und nun versetzen wir uns mal in ein Kind, das die ersten Lebensjahre nicht selten ohne direkten Blick- und Hautkontakt zur Bezugsperson angeschnallt im Fond eines Autos sitzt. Und vergleichen seine Interaktion mit Erwachsenen mit der von Kindern, die an der Hand der Eltern zur KiTa gehen, mit den Erwachsenen über das sprechen, was sie sehen, hören, riechen.

In der Kindheit wird die Basis für das zukünftige Leben gelegt, auch die Umwelteinflüsse auf Kinderkörper haben bis in das Erwachsenenalter Auswirkungen, die nicht mehr umkehrbar sind.

Kinder sind mir daher großer Antrieb, meine Arbeit täglich fortzusetzen, obwohl diese große Widerstände erfährt. Ich freue mich, wenn Ihnen die genannten Aspekte helfen, in das Team Autokorrektur einzusteigen. Denn Kinder – gerade auch Jene, die noch gar nicht geboren wurden – haben ein Recht auf selbstbestimmte, gesunde und sichere Mobilität. Wir Erwachsene sind es, die ihnen ein Leben schaffen müssen, das ihnen passt – und nicht das Leben manifestiert, in denen sie „Verkehrserziehung“ durchschreiten müssen, um sich passend für eine Welt zu machen, die vom Autoverkehr dominiert wird.

Anika Meenken ist verkehrspolitische Sprecherin für Radverkehr und Mobilitätsbildung beim ökologischen Verkehrsclub VCD und seit 15 Jahren aktiv für eine nachhaltige, kindgerechte Verkehrswende. Aufgewachsen im ländlichen Raum und mittlerweile seit vielen Jahren in Berlin lebend, kennt sie als Mutter die Herausforderungen für Kinder und Jugendliche, sich selbständig und sicher in unserem Verkehrssystem zu bewegen. Das ist auch das, was sie antreibt: kindgerechten Verkehr zu schaffen statt ein verkehrsgerechtes Kind.

Für sie bedeutet die Idee, ein Kind verkehrsgerecht zu erziehen, Kindern Regeln und ein Verhalten beizubringen, damit sie – drastisch formuliert – den Autos nicht in die Quere kommen. Und das bedeute ja auch, dass wir Flächen im öffentlichen Raum vorgeben, wo sie zu spielen haben, sogenannte Spielplätze.

»Wir sagen damit: Hier ist dein sicherer, geschützter Raum, in dem du spielen darfst, und klammern so 90 Prozent der Flächen im städtischen Raum aus. Mit Spielplätzen beschneiden wir auch kreatives Spielen, indem wir vorgeben: Hier ist eine Rutsche, also rutsch! Hier ist eine Turnstange, turne! Freies Spiel im Straßenraum ist gar nicht mehr möglich bzw. nicht erlaubt, aber so wichtig für die kindliche Entwicklung, da es die Kreativität fördert. Auch der Traum von einer besseren, freieren und unbeschwerten Kindheit im ländlichen Raum lässt sich mit der aktuellen, vom Elterntaxi geprägten Realität nicht verwirklichen. Da hat man vielleicht einen Garten, wo die Kinder spielen können. Aber auch das ist eine Insel zwischen anderen Inseln wie Schule, Freizeitangebot oder Haus der Freund:innen. Und von Insel zu Insel werden die Kinder von den Eltern gefahren, wie in der Stadt.«

Wenn wir uns den Stress, die Gefahr und die Enge, die in Städten durch Autos entsteht, aus diesen wegdenken. Wenn wir schauen, wie viel Wohnungsbau möglich würde, wenn oberirdische Riesenparkplätze und -kreuzungen bebaut werden könnten, dann stellen wir fest, dass Städte gerade für Familien sehr viel bieten können – aufgrund fußläufiger Erreichbarkeit.

Objektiv sind Städte nicht unsicherer geworden, die Eltern wurden es. Städte haben viele Vorteile für Erwachsene: Kultur, Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, Förderung von Interessen und Begabungen, von denen unsere Kinder profitieren können. Die Verschiedenartigkeit von Menschen und Lebensgewohnheiten, Sprachen und Kulturen, lernt und erlebt ein Kind in der Stadt meist leichter als auf dem Land. Weitere Vorteile: Alleinerziehende können in der Stadt unkomplizierter Betreuung organisieren, sich mit anderen Eltern meist in fußläufiger Entfernung abstimmen. »Überhaupt lassen sich Familie und Beruf in der Stadt leichter kombinieren«, so Mazda Adli.

Anika kennt Zahlen, die die Autoabhängigkeit von Familien untermauern, die sich einen Pkw leisten können oder müssen:

»Nur neun Prozent der Familien haben kein Auto, 48 Prozent haben sogar zwei oder mehr. Autofreie Familien sind also die absolute Minderheit, und auch deshalb legen Kinder bis zu zehn Jahren über die Hälfte ihrer Wege auf dem Rücksitz eines Autos zurück. Kinder, die nie gelernt haben, sich sicher auf dem Rad fortzubewegen, können keine sicheren Radfahrenden werden. Je früher man gemeinsam damit anfängt zu Fuß, mit dem Rad und den Öffentlichen unterwegs zu sein, desto sicherer und eigenständiger ist man später. Durch den hohen Autobesitz sind Eltern sowohl Verursachende als auch Leidtragende des Systems. Diesen Kreislauf durchbrechen wir nur, indem wir eine kindgerechte Infrastruktur schaffen, mit dichten, sicheren und komfortablen Fuß- und Radwegenetzen.«

Die niederländische Bernard van Leer Foundation hat zur Aufarbeitung kindlicher Mobilität und Lebensrealität »Urbangs« ins Leben gerufen. Hier werden Städte aus der Perspektive von 90 Zentimetern Höhe betrachtet, der Durchschnittsgröße eines dreijährigen Kindes. Ein Blickwinkel, der in der heutigen Verkehrspolitik und Raumplanung kaum eine Rolle spielt. In Oslo wurden auf Basis dieses Perspektivwechsels Büsche an Kreuzungen so weit heruntergeschnitten, dass Kinder problemlos die Fahrbahn überblicken. Der Child Security Index misst in brasilianischen Städten mittels einer App das subjektive Gefühl von Sicherheit versus Bedrohung aus Kindersicht. Auf diese Weise werden Straßen identifiziert, die für Kinder verändert werden müssen.24 Schriftstellerin Anaïs Nin sagte mal: »Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, wir sehen sie so, wie wir sind.« Und ich denke, dieses Zitat passt auf (zu) vieles, was wir in der Mobilität (falsch) machen. Nicht, weil wir böse Menschen sind, sondern weil uns die Zeit und die Impulse fehlen, die Welt aus den Augen anderer Menschen zu sehen und zu erleben. Weil die Räume, in denen wir leben und arbeiten, dysfunktional sind und Begegnungen verhindern, die unseren Horizont täglich erweitern

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