Unsere Kolumnistin Katja Diehl versteht die Sehnsucht nach einer Technologie, die all unsere Probleme löst. Doch vor autonomen Fahrzeugen sollten wir erst mal das autonome Unterwegssein ermöglichen.

2018 hat der damalige Chief Digital Officer von Volkswagen, Johann Jungwirth, die Zukunft des Autos wie folgt skizziert: „Das autonome Fahren ist bald Realität. Die Frage ist längst nicht mehr ob und wann, sondern nur noch: Wo? 2021, in dreieinhalb Jahren, werden wir […] in Abstimmung mit den Kommunen selbstfahrende Autos ohne Lenkrad einsetzen. Dann können dort auch Blinde, Kranke und Kinder allein Auto fahren.“
Eines der größten Probleme der Mobilitätswende sind die überbordende Technikeuphorie und das Vorwärtsstreben. Ich kann beides sogar nachvollziehen. Die Haltung, Fortschritt immer mit einer Vorwärtsbewegung zu assoziieren, ist letztlich schon im Wort manifestiert. Zudem wurde Erfolg bisher immer mit einem Mehr von dem Gleichen verbunden. Es fühlt sich sicherlich gut an, dass da bald diese eine Technik kommen wird, die auf wunderbare Weise alle Probleme löst.
Ich ertappe mich dabei, dass ich mich wundere, wie unhinterfragt sich der Auto-Status-quo auch bei vielen fortsetzt, die vom autonomen Fahren überzeugt sind. Mir fehlt das Innehalten, mir fehlt der große Plan, systemisches Denken und das Wagnis, manche Dinge weniger und von manchen Dingen gar nichts mehr zu tun. Mir wird versprochen, dass es mit autonomen Fahrzeugen auch für mich sicherer wird. Aber ich will gar nicht, dass weiterhin überall Autoverkehre mitgedacht werden, die meinen Bewegungs- und Aufenthaltsraum okkupieren. Zudem frage ich mich, wie der Übergang gestaltet werden soll, wenn das obere Drittel autonom fahren könnte, alle anderen aber nicht. Ich sehe das als eine Vollkatastrophe für alle außerhalb der Autos an.
Die Weiterführung des Gleichen
Schauen Sie mal hin, was der Grund für den Einsatz von autonom fahrenden Fahrzeugen ist: Personalmangel und -kosten. Natürlich fehlen uns Menschen im System – vor allem jene, die die so sehr benötigten Alternativen zum Auto anführen. Aber! Darf das Anlass sein, autonome Fahrzeuge einzusetzen? Ist das wirklich ein echter Plan – oder nur die Weiterführung des Gleichen? Lösen wir mit diesen Fahrzeugen die Probleme der Barrierefreiheit, Sicherheit, Bezahlbarkeit zuverlässig? Oder haben wir bei aller Begeisterung noch nicht mal daran gedacht, dass wir auch im System deutlich etwas verändern müssen.
Der Aktivist Raúl Krauthausen geht in seinem Text Die trügerische Verheißung der Robotaxis auf die wieder einmal fehlende Barrierefreiheit bei diesem Technik-Hype ein. Er fordert: „Neue Technologien müssen in einen gesellschaftlich verantwortungsvollen und inklusiven Rahmen eingebettet werden und ethischen und praktischen Anforderungen genügen. Um wahrhaft inklusiv zu sein, müssten alle Stufen einer Fahrt, sowie Verkehrs- und Stadtbild für Menschen mit kognitiven, Entwicklungs-, Seh-, Hör- und Mobilitätsbehinderungen zugänglich sein.“
Mir fehlt an vielen Stellen das Gesamtbild, wo der Einsatz von Technologien die ausgerufenen Ziele erfüllt: Fahrgaststeigerung, massive Reduzierung der Pkw-Zahl, Etablierung klima- und sozialgerechter Mobilität und Berücksichtigung ethischer Standards.
Denn – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – mir ist es wichtig, dass, wenn ein solches System etabliert wird, endlich auch die sogenannte Vision Zero eine Rolle spielt, also der Wille, keine Verkehrsopfer mehr zu akzeptieren. Sind die von mir genannten Details in jeder Phase der Entwicklung gewährleistet? Wer trägt die Verantwortung für Fehler, die auch solche Fahrzeuge machen werden? Der Hersteller, der Betreiber, der Staat (und damit wir)?
Bei vielen technischen Neuerungen gab es nach einer Weile einen sogenannten Rebound-Effekt, so auch beim Bau von Autobahnen: Eine anfängliche Entlastung durch neue Fahrspuren ging schnell verloren, da nach kurzer Zeit alle diese Teilstrecken genutzt wurden. Nachzuschlagen auch unter Braess-Paradoxon. Wir sollten alles daran setzen, die jetzt schon möglichen Veränderungen sofort umzusetzen, sodass wir auch dann eine Mobilitätswende gestalten können, wenn das mit dem autonomen Fahren noch Jahre dauern sollte.
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