Katja hält ein selbtgemaltes Schild hoch auf dem steht "Liebe Rein".

Gedanken zur Autokorrektur.

32.000 Menschen waren gestern in München auf der Straße, um den Verkehrsminister daran zu erinnern, dass auch er sich an geltendes Recht vom Pariser Klimavertrag bis zum eigenen Klimaschutzgesetz zu halten hat. Stattdessen verkündete Volker Wissing gestern eine verkehrsliche Prognose, die auf dem aktuellen Bevölkerungswachstum beruht. Mehrere Millionen Menschen kommen aus anderen Ländern zu uns und sorgen für dieses Wachstum – ob die #noAfD deswegen jetzt gegen die Verkehrspolitik sein wird, dürfte spannend zu beobachten sein.

Mir geht es jedoch um einen handwerklichen Fehler.

Eine Prognose auf Basis des Status Quo der Verkehre in Deutschland zu erstellen, ist etwas, das einer „selffulfilling prophecy“ gleicht. So nach dem Motto: Ich esse jetzt jeden Tag fünf Kilogramm Fleisch und prognostiziere, dass ich in drei Jahren ein Herzmedikament, in fünf Jahren einen Herzschrittmacher und in 15 Jahren pflegerische Unterstützung benötige.

Wie sollte stattdessen eine solche Prognose erstellt werden?
Ich denke, anhand der Klimaziele.

Wie muss ich, Volker Wissing, die Entwicklung des Verkehrs steuern, damit die Nachfrage entsteht, die die steigenden Emissionen des Sektors, den ich ich verantworte, nicht nur endlich beginnen zu sinken, sondern auch 2045 wie gesetzlich verankert, auf NULL sind?

Für Interessierte:
Hier geht es zur Prognose, die Volker Wissing gestern vorgestellt hat.

32.000 Menschen waren dort gestern auf den Straßen, um etwas zu tun, was eigentlich absurd klingt: Die deutsche Verkehrspolitik, die Ampelregierung, Volker Wissing an das Einhalten von Gesetzen zu erinnern. Denn sowohl der Pariser Klimavertrag als auch das deutschen Klimaschutzgesetz geben klare Rahmenbedingungen vor. Gerade auch für das mittlerweile unfassbar große Sorgen“kind“ Verkehrssektor. Hier steigen die Zulassungszahlen, die Emissionen, die Abmaße der Pkw, während die Zahl der Menschen an Bord ebenso sinkt wie die Minuten, die ein Auto täglich bewegt wird. All das spricht eine deutliche Sprache: Der Markt würde normalerweise regeln, dass so ein ineffizientes und teures Produkt an Bedeutung verliert. Aber im Verkehrsministerium wird alles getan, um dieser Tatsache UND den unterschriebenen Gesetzen nicht Folge zu leisten.

Noch im Hotel in München habe ich ein Schild gemalt, wie früher dazu meine Finger benutzt. Denn es muss endlich „Liebe rein“! Für Menschen, für Gleichberechtigung, für eine lebenswerte Zukunft. Und was muss dafür raus (das stand auf der Rückseite meines Pappschildes)? Natürlich die Autos! Das sind OBJEKTE, ohne Gefühle, ohne Mehrwert, wenn sie abgestellt sind. Und das sind sie 96 % des Tages.

Ich habe mal in den Koalitionsvertrag geschaut:

Wir wollen die 2020er Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen. 2045 ist das Ziel der Dekarbonisierung des Mobilitätsbereiches. Mobilität ist für uns ein zentraler Baustein der Daseinsvorsorge, Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Logistikstandorts Deutschland mit zukunftsfesten Arbeitsplätzen.

Was meinen Sie?

Wo stehen wir nach über einem Jahr Ampelregierung?

Meine Einschätzung:

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Ich gebe Ihnen dazu mal ein paar Hinweise.

  • Der Bestand an Pkw wächst mehr als die Bevölkerung.
  • Zwischen 1991 und 2019 ist das Schienennetz um 13 % von 44.100 km auf 38.400 km geschrumpft. Es wurden 40 Kilometer 2022 neu gebaut.
  • Der Verkehrssektor verzeichnet steigende Emissionen, über 60 Prozent davon verursacht der Pkw.
  • Wissing will schnelleren Autobahnneubau ohne Naturschutzprüfung, das würde finanzielle Mittel und Personalressourcen an der falschen Stelle gebunden – wichtiger ist Instandhaltung Straße, Ausbau Schiene und Rad.
  • 17,1 % aller Autobahnen und 31,1 % aller Bundesstraßen müssen saniert werden. Bei 13.000 Autobahnbrücken steht die Sanierung an, der Bund schafft aber nur rund 100 Brücken pro Jahr. Hier ein Bericht vom Handelsblatt.
  • Wissing erhält alle Subventionen für das Auto und die FDP blockiert Verbrenner-Aus auf EU-Ebene GEGEN den Willen der Autoindustrie. Diese Subventionen belohnen vor allem Besserverdienende (Autokaufprämien, Diesel- und Dienstwagensubvention, Pendlerpauschale).
  • Jedes Auto kostet die Allgemeinheit im Jahr 5.000 Euro.
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Was wäre die Lösung?

Zudem:

18% der Bevölkerung fahren täglich Rad, 17% fahren mehrmals die Woche, 30 Mio. Menschen (repräsentative Umfrage „Fahrradmonitor“ des BMDV). Sind diese 30 Millionen Bürger:innen Verkehrsteilnehmer:innen zweiter Klasse? Wenn man die Radwege in Deutschland ansieht, muss man leider sagen: JA! Das Problem ist: die meisten Menschen haben beim Radfahren Angst (rund 70 Prozent), weil Radwege fehlen. Das ließe sich ganz leicht ändern: Pop-Up Radwege können über Nacht eröffnet werden, das haben wir während Corona z.B. in München oder Berlin gesehen. Und sofort hat sich der Radverkehr massiv erhöht (20 bis 25 Prozent stadtweit).

FAZIT:

Es herrscht eine umfassende klima- und sozial gerechte Defokussierung durch Autozentrierung. MIt fatalem und desaströsem Urteil durch den Expert:innenrat der Bundesregierung, der jüngst das Notfallpaket von Volker Wissing noch nicht einmal prüfte.

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Die Recherche zu meinem Buch ergab: Viele sitzen im Auto, um gesellschaftliche Probleme zu lösen.

  • die der mangelnde Mobilitätsalternativen (die es mal gab, die aber abgebaut wurden) und mangelnde Nahversorgung von Lebensmitteln, Bildung bis Hobbies, die immer weiter von Wohnorten z. B. im Ländlichen wegrückten, weil das Auto längere Strecken ermöglichte
  • die der fehlenden Sicherheit, Barrierefreiheit, Bezahlbarkeit
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Die Debatte braucht endlich Ehrlichkeit. Es geht nicht nur um das „Angebote schaffen“, das ist natürlich auch wichtig, es geht auch darum, das Auto genauso wichtig zu machen wie alle anderen Verkehrsmittel – und damit das geschieht, müssen dessen Privilegien von Geld bis Raum fallen.

Eine Mehrheit der Deutschen ist gegen weitere Autobahnen: In einer bundesweiten repräsentativen Meinungsumfrage im Auftrag von Greenpeace, sprachen sich Mitte Dezember 2022 vier von fünf der Befragten (81 Prozent) dafür aus, auf weitere Autobahnen zu verzichten, wenn dadurch das Klima geschützt werden kann. Auch zum Schwerpunkt des künftigten Infrastrukturausbaus zeigt die Umfrage deutliche Vorlieben: 70 Prozent der Befragten gaben an, der Ausbau solle sich auf neue Zugstrecken und den öffentlichen Nahverkehr konzentrieren.

Was also wünsche ich mir?

  • Empathie für Jene, die nicht Auto fahren wollen, können oder noch gegen ihren Willen im Auto sitzen müssen
  • Gesetzestreue: Pariser Klimavertrag, Klimaschutzgesetz, Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
  • Denn: Freiheit ist nicht, auf ein Auto angewiesen zu sein, Freiheit ist sich frei entscheiden zu können
  • Ein entwickeltes Land erkennt man nicht daran, dass alle Auto fahren, sondern dass die Reichen im Bus sitzen. Aktuell haben wir da noch zuviele strukturschwache Regionen.
  • Wir müssen Anreize schaffen, aber auch alle Fehlanreize abschaffen

Final ein Blick in die Nachbarschaft. Nach Österreich.

“Der Lobautunnel sei ein Milliardengrab, Autobahnen die Quelle Nummer eins für Verkehrsunfälle, die Klimaziele mit einem solchen Projekt nicht vereinbar. In Zukunft werde man die neue Schnellstraße, sollte sie tatsächlich umgesetzt werden, als „Umweltverbrechen“ einstufen.”

Leonore Gewessler, Klimaschutzministerin von Österreich, in deren Beirat ich mit Stolz tätig sein darf, weiß, dass man nicht auf klimaschädlichen Projekten beharren darf, wenn es bessere Alternativen gibt. Die Studie der TU argumentiert, dass schon die Umsetzung der von der Stadt Wien selbst gesetzten Ziele zu einer deutlichen Verkehrsentlastung führe. Eine höherrangige Straße wäre dagegen kontraproduktiv, würde sie doch zu mehr Verkehr führen. Die Klimaministerin sah den Lobautunnel daher als massive Erschwerung der Zielerreichung. Bessere Alternativen seien der Ausbau der Öffis und Investitionen in das niederrangige Straßennetz. Die Lobau-Autobahn wird nicht weiterverfolgt, für den Nordabschnitt der S1 werden Alternativen geprüft. Auch die S34 wird nicht in der geplanten Form umgesetzt.

Im vergangenen Jahr hat Klimaschutzministerin Leonore Gewessler eine Evaluierung des sogenannten ASFINAG-Bauprogramms beauftragt. Alle geplanten Neubauprojekte wurden dabei auf ihre Zukunftsfähigkeit geprüft. Das betrifft ganz besonders die großen Herausforderungen vor denen wir heute stehen: Dem Klimaschutz, dem Artenschutz sowie dem Schutz unserer wertvollen Böden.

Walisische Regierung setzt alle zukünftigen Straßenbaupläne aus

Stellvertretende Ministerin für Klimawandel kündigt Maßnahmen an, um bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Die von der Labour-Partei geführte walisische Regierung stoppt neue Straßenbauprojekte als Teil ihrer Pläne zur Bewältigung des Klimanotstands.

Der stellvertretende Minister für Klimawandel, Lee Waters, sagte am Dienstag vor dem walisischen Parlament: „Seit 1990 sind die walisischen Emissionen um 31 % gesunken. Aber um unser gesetzliches Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen, müssen wir noch viel mehr tun.“

Ich freue mich über die Diskussion, wie wir Deutschland in die Top 3 der Mobilitätsveränder:innen bringen!

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3 Antworten zu „Gedanken zur Autokorrektur.“

  1. Avatar von Spürmeise
    Spürmeise

    Frau Diehl, zu Wissings Blockade des Verbrenner-Aus: dazu haben Sie selbst beigetragen. Mit Ihrem Dogma: „Wichtig ist, dass keine Ladeinfrastruktur entsteht“ tingeln Sie durch die Städte, was von den Kommunalgrünen oft beherzt aufgenommen wird, und sabotieren so insbesondere den Umstieg auf kleine sparsame E-PKW. Schade, dass Sie dazu beigetragen haben, dass Verbrenner-Abgase und PKW-Lärm die Stadtbewohner auch in nächsten Jahrzehnten krank machen.


    1. Ach Herr/Frau Spürmeise! Da überschätzen Sie aber meine Einflussfähigkeit auf Politiker:innen in Bundesministerämtern. Aber danke für die Annahme, ich könnte da was bewegen. Und ja! Ich werde es nicht akzeptieren, dass wir auf dem Weg in eine autofreiere, mobilere Zukunft alle GEHwege mit Ladeinfrastruktur zupflastern, nur damit dort wieder stundenlang Autos abgestellt werden können. Bei mir in der Stadt gibt es viele große versiegelte Plätze, die dafür genutzt werden können. Und 400 Meter zu diesen laufen mute ich gesunden Menschen auch zu. Menschen in der Stadt haben zudem sehr viel weniger Autos als auf dem Land, viele vom Land fahren aber mit dem Auto in die Stadt. Das ist auch nicht sonderlich gerecht in Sachen Gesundheit oder?


  2. […] Gedanken zur Autokorrektur, Katja Diehl […]


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