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Zu Gast bei turi2: „Flugtaxis und Hyperloops braucht kein Mensch. Taum von einer Welt, in der Menschen mehr Platz haben als Autos.“

Ärger als Antrieb: Weil sie glaubt, dass es im Straßenverkehr besser und gerechter zugehen kann, schmeißt Katja Diehl ihre Konzern-Karriere hin. Die Podcasterin und Bloggerin träumt von einer Welt, in der Menschen mehr Platz haben als Autos. Für sie ist das keine Zukunftsmusik: Neue Technik sei für die Mobilitätswende gar nicht nötig. Um ihren Standpunkt zu unterstreichen, steigt sie schon mal mit Frank Thelen in den Ring.

Von Elisabeth Neuhaus

Im Spätsommer 2018 steigt Katja Diehl aus. Der Job als Kommunikations­managerin bei Fielmann ist zwar sicher und gut bezahlt, passt ihr aber nicht. Zum ersten Mal in ihrem Leben meldet sich die studierte Literatur­wissen­schaftlerin arbeitssuchend. Diehl, Jahrgang 1973, will weg von Hierarchien und davon, als einzige weibliche Führungskraft oft für alle Frauen sprechen zu müssen. Sie nimmt sich sechs Wochen Auszeit, die sie “große Ferien” nennt – und entschließt, in die Mobilität zurückzugehen, in der sie zuvor 15 Jahre gearbeitet hat. Unter anderem als Marketing-Chefin bei den Stadtwerken Osnabrück.

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Diehl will jetzt was verändern im Straßenverkehr in ganz Deutschland. Sie will was tun gegen verstopfte Straßen, sechs Meter lange Pickups auf Parkplätzen und Städte, die für Autos statt für Menschen gemacht sind. Sie ist genervt von blockierten Radwegen und 15-Euro-Knöllchen für 100.000-Euro-Autos. Mit ihrem 2019 gestarteten Podcast “She Drives Mobility”, will sie zeigen, dass nicht nur Männer in der Mobilitätswelt etwas zu sagen haben. Heute verdient Diehl einen Teil ihres Lebensunterhalts als Speakerin und Beraterin. Sie hält Vorträge über Inklusion im Straßenverkehr und darüber, warum es wichtig ist, dass sich Städte bei der Verkehrsplanung an den Fußgängerinnen, nicht an den Autos orientieren. Und sie berät Politikerinnen. In Teilzeit macht sie außerdem die Öffentlichkeitsarbeit des Berliner Startups Door2Door, das On-Demand-Software für den ÖPNV entwickelt. Auf Twitter, wo sie fast stündlich über Missstände auf deutschen Straßen nachdenkt, folgen ihrem Account
@_Katja_Diehl mehr als 26.000 Menschen.

Diehl bezeichnet sich als “Possibilistin”, eine, die aufs “Möglichmachen” guckt statt vor Problemen zu resignieren. Sie glaubt, dass das richtige Besteck für die Verkehrswende längst da ist. “Flugtaxis und Hyperloops braucht kein Mensch”, sagt sie. Alles, was es für einen neuen Verkehr brauche, sei schon da, wie auf einem Lego-Haufen – “wir müssen es nur anders zusammenbauen”. Einmal tritt Diehl auf Xing gegen Startup-Investor und FDP-Sympathisant Frank Thelen an. Er trommelt für E-Autos, sie schreibt, dass andere Verkehrsteilnehmerinnen mehr Platz brauchen. Auf Thelens Beitrag reagieren mehr als 27.000 Menschen, auf Diehls 8.200.

In Hamburg sieht sie, wie sehr Menschen die Parkplatzsuche stresst oder das endlose Rumstehen im Stau. Kritik an der Wahl ihres Wohnortes will Diehl trotzdem nicht stehen lassen: “Ich finde es eine Sauerei, dass mir immer gesagt wird: ‘Dann zieh halt aufs Land.’ Warum habe ich in der Stadt weniger Rechte auf Ruhe und ein gutes Umfeld?” Sie sagt, dass mehr Menschen aufs Auto verzichten würden, wenn sie durch bessere Anbindungen oder Barrierefreiheit nur die Möglichkeit dazu hätten. Ihre Eltern leben im Emsland. Der Vater kann nicht mehr selbst Auto fahren, müsse jedes Mal die Mutter bitten. “In einer 60.000-Einwohner-Stadt ist das ein Skandal”, findet Diehl.

Gerade hat sich die Zukunftsaktivistin ein neues Klapprad zugelegt, war damit im Urlaub an der Nordsee. Diehl wirkt glücklich und motiviert. Wie eine, die Ärgernisse als Antrieb nimmt. Kinder hat sie keine. “Da ist niemand in meinem Leben, an den ich diese Welt weitergeben muss”, sagt sie. Aber wenn sie in Hamburg sehe, dass ältere Menschen nicht mehr vor die Tür gehen, weil sie mit ihrem Rollator nicht über die schiefen Gehwegplatten stolpern wollen, ärgere sie das. Sie fragt, ob denn alle 100-Jährigen in Zukunft mit dem Auto fahren sollen? “Also ich hätte Bock auf Alternativen.”

Foto: Charlotte Schreiber

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