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Brandgefährlich? Studie wird zum Politikum und Wirtschaftskrimi. Gastbeitrag zum Mitnahmeverbot von Escootern.

Von Florian Walberg.

Falsche Fakten und Verständnislücken führten zu einem Verbot von E-Scootern im ÖPNV, während Pedelecs mit gleichen Akkus weiter als sicher eingestuft werden. Taucht man tiefer in die Grundlagen dieser Entscheidung ein, wirft diese Maßnahme fundamentale Fragen auf.

Berichte zweier brennender E-Scooter-Akkus in Barcelona und London und mehrere brennende Pedelec-Akkus alarmierten die Verantwortlichen der Hamburger Hochbahn AG (HHA). Um das Risiko von Akkubränden in Bussen und Bahnen bewerten zu können, beauftragte sie die Studiengesellschaft für Tunnel und Verkehrsanlagen (Stuva) mit der Erstellung einer brandschutztechnischen Bewertung von E-Scootern – aber nicht von Pedelecs und E-Rollstühlen. Die werden mit identischen Li-Ion-Akkus betrieben.

Warum die Studie nur für E-Scooter in Auftrag gegeben wurde, ist weder nachvollziehbar, noch kann oder will es die Hochbahn bis heute erklären. Auch die Auswahl des Studienerstellers durch die HHA wirft Fragen auf, schließlich ist die STUVA im Bereich Brandschutz-Sicherheit von Bauwerken, zum Beispiel unterirdischer Verkehrsanlagen und neuer Verfahren beim Tunnelbau oder Straßenbau tätig, aber kein Experte für Akkus. Nach eigener Aussage hat die Stuva auch keinerlei externe Experten für Akkus hinzugezogen.

13 Pedelecs- und zwei E-Scooter-Brände: Vverboten werden aber nur E-Scooter!?

Für die Studie wurden 15 Vorfälle von brennenden Akkus in Deutschland betrachtet. Bis heute gibt es keinen einzigen bekannten Vorfall im Bereich des ÖPNV. Von 15 identifizierten Bränden waren allerdings 13 auf Pedelecs und nur zwei auf E-Scooter zurückzuführen. Einer von diesen E-Scootern brannte auf der Straße, wobei mutwillige Beschädigungen nicht ausgeschlossen werden können. Die Fälle der beiden brennenden E-Scooter in London und Barcelona, die eigentlich Grund für die Studie waren, wurden nicht betrachtet. Mehr Daten waren für die Studienerstellung nicht verfügbar.

Entsprechend stellt die Stuva korrekt fest: „Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Elektrokleinstfahrzeugbrandes im ÖPNV ist gering“ und „seriöse Ermittlung ist aufgrund mangelnder Fakten nicht möglich“. Dennoch schlussfolgert die Stuva, dass die Mitnahme von E-Scootern in Bussen und Bahnen gefährlich wäre, Pedelecs wären sicher.

Folgt man der Argumentationskette der Studie, bestehen jedoch auch aktive Gefährdungen durch Pedelecs sowie Seniorenfahrzeuge und Rollstühle (die nicht der Medizinprodukte-Verordnung unterliegen), da diese identische Akku-Technologien nutzen. Das ist die Logik der Studie – nicht meine Meinung! Die HHA reagiert auf die Empfehlung der Stuva am 24. August 2023 und spricht ein Mitführverbot nur für E-Scooter in allen U-Bahn-Fahrzeugen aus, den vielen Bränden von Pedelecs folgen aber keine Verbote … 

Fehlerhafte Studie führt zum Aus der intermodalen Mobilität 

Die HHA schaltet den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ein, um den Sachverhalt auf Verbandsebene zu analysieren. Eine bundesweite Handlungsempfehlung ist die Folge. Am 29. Februar 2024 wird eine Mitnahme-Verbotsempfehlung für E-Scooter im ÖPNV ausgesprochen. Eine Entscheidung, die – vor dem Hintergrund der offensichtlichen Fehler der Studie – einen ganzen Industriezweig mit Fassungslosigkeit erfüllt und mal eben so im Vorbeigehen die Mobilität in Deutschland verändert, indem sie das Konzept der intermodalen Mobilität in urbanen Ballungsräumen zerstört. Denn mittlerweile folgen der Empfehlung in einem erdrutschartigen Aktionismus die Mehrzahl aller Verkehrsunternehmen in Deutschland. 

Die fragwürdige einseitige Empfehlung hat Bestand, trotz wiederholtem schriftlichen Hinweis von der gesamten Branche auf mehrere Dutzend gravierende inhaltliche Fehler und auch Falschaussagen in der Studie. Ich habe mehrere Telefonate mit der Stuva, dem VDV und der Hochbahn geführt sowie in einem gemeinsamen Meeting vor wenigen Wochen, bei dem auch der VDV zugeschaltet war, meine Kritikpunkte geäußert. Dabei hat der Verband bestätigt, die Studie trotz vielfacher Kritik nicht weiter hinterfragt zu haben und weder das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) noch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) einbezogen zu haben, bevor die Verbotsempfehlung ausgesprochen wurde.

Nur mangelnde Expertise oder Größenwahn?

Die größte und augenscheinlichste Kritik an der Studie ist, dass die Ersteller und der VDV ihre Analyse über die Expertise und Prüfverfahren des KBA, das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), das DIN, hunderte Expert:innen in Brüssel und sechs weiteren europäischen Mitgliedsländern, die über Jahre unter anderem den Standard DIN EN17128 erarbeitet haben, sowie den TÜV stellen:

  • Pedelecs werden gemäß §63a (2) StVZO Fahrrädern gleichgestellt, benötigen daher keine Betriebserlaubnis für den Straßenverkehr. Hingegen müssen E-Scooter vor der Inbetriebnahme nach der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (§2 (1) eKVF) eine Allgemeine Betriebserlaubnis vom KBA vorweisen und werden durch den TÜV geprüft. Das bedeutet: E-Scooter und Pedelecs unterliegen trotz gleichartiger Akkus unterschiedlichen DIN-Normen. Im Fall der Pedelecs aber wird die Einhaltung der DIN-Normen nur durch eine CE-Selbstzertifizierung des Herstellers, ohne jegliche amtliche Kontrolle, bestätigt. Die Norm, die zur übergreifenden Sicherheit von Pedelec- Akkus führen soll, hat augenscheinlich bei den 13 Bränden nicht geholfen. Dies wird in der Studie nicht berücksichtigt und stellt damit eine klaffende Lücke in der Risikobewertung dar.
  • Laut Stuva befinden sich cica zehn Millionen Pedelecs im Markt, die sich seit etwa 20 Jahren dort sammeln. Aufgrund einer neuen DIN-Norm, die im Sommer 2022 veröffentlicht wurde, erklärt die Stuva aber alle Li-Ion-Akkus der Pedelecs rückwirkend als sicher, also auch die, die vor der Zeit dieses Standards produziert und in Umlauf gebracht wurden.  

Die Stuva weigert sich, die Problematiken der Studie anzuerkennen oder gar zu korrigieren. Anders als vom VDV und in vielen Medien kommuniziert, gibt es auch nur eine Studie und eine Interpretation der Studie, nicht zwei unabhängige Studien. Akku- und Mikromobilitäts-Experten wie Hannes Neupert oder Lars Zemke, Branchenverbände wie Electric Empire oder der BEM und alle Hersteller sind fassungslos über die Widersprüchlichkeit dieser Entscheidungsgrundlage für viele Verkehrsunternehmen. 

TÜV Nord widerspricht der Stuva-Studie, Überprüfung angekündigt

Auch der Tüv Nord hat sich mit einem Schreiben am 15. März 2024 klar gegen die Stuva-Studie positioniert. Unter anderem schreibt er: „Das Mitführen von E-Scootern (eKFV-Fahrzeuge) in Bussen und Bahnen des ÖPNV stellt aus aktuellen Erkenntnissen von Tüv Nord keine größere Gefahr dar, solange die E-Scooter über eine Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) verfügen. Bereits bei der Entwicklung der Verordnung zur Zulassung dieses Fortbewegungsmittels in Deutschland im Jahr 2019 hat Tüv Nord darauf hingewirkt, dass die LithiumIonen-Akkus der E-Scooter hinsichtlich Sicherheit und Festigkeit nicht nur im Fahrbetrieb und bei Ladevorgängen, sondern auch beim Transport in anderen Verkehrsmitteln überprüft werden.“ 

Um alle Fehler der Studie aufzuzeigen, überprüft bereits ein anerkanntes und führendes Prüfungsunternehmen die Stuva-Analyse. Das „Gegenpapier“ wird im April veröffentlicht. Das ist dringend notwendig. Denn es darf nicht sein, dass sich die Doppelmoral der Stuva und des VDV durchsetzt und ungesühnt bleibt. Ich kann nur mutmaßen, dass man sich nicht mit der größeren Fahrrad- und Pedelec-Industrie anlegen möchte, sondern lieber E-Scooter verbannt, die aufgrund ihrer jungen Industriestrukturen noch keine vergleichbare Lobby haben.

Ein Grund für das Vorgehen ist sicher auch das aggressive und unregulierte Vorgehen der E-Scooter-Sharing-Unternehmen. Es hat dazu geführt, dass die Reputation dieser jungen Fahrzeugklasse einen großen Imageschaden in der Gesellschaft erlebt. Während fast 80 Prozent der E-Scooter im Markt im Eigentum sind, dominieren die 20 Prozent der Sharing-Roller den Ton, mit dem über die wohl nachhaltigste Form der e-mobilen Kurzstrecke geurteilt wird. 

VDV kooperiert mit Sharing-Unternehmen, aber nicht mit den Herstellern

Im „New Mobility Forum“ des VDV engagieren sich 30 Sharing Unternehmen in einem Thinktank zur „Mobilen Weiterentwicklung rund um die deutschen Verkehrsunternehmen“. Alle großen E-Scooter-Sharing-Unternehmen sind beteiligt. Nur Hersteller für Privateigentum, naturgegeben die größte Konkurrenz der Sharing-Anbieter, sind hier nicht eingeladen. Ein Schelm, wer hier einen Zusammenhang sieht.

Fazit: erhebliche Marktverzerrung

Die ausgesprochene Empfehlung eines Mitnahmeverbots von E-Scootern stellt in der Kombination einer fehlerhaften Studie, dem Ignorieren selbstidentifizierter Gefahren und der strategischen Verzahnung des VDV mit Sharing-Unternehmen eine erhebliche Marktverzerrung dar. Was auf den ersten Blick aussieht, als würden sich ein paar E-Scooter-Fans und ein deutscher Hersteller nur aus Imagegründen aufbäumen, ist wesentlich komplexer. Hier wird die junge Branche für nachhaltige urbane Mobilitätslösung für „die letzte Meile“ nachhaltig und fahrlässig geschädigt. Der wirtschaftliche Schaden für uns als Hersteller ist bereits jetzt enorm, schließlich ist der Frühling auch Saisonstart für das E-Scooter-Fahren. Wir hören von vielen Händlern, dass Kaufinteressent:innen verunsichert seien und sich fragen, ob die Akkus wirklich so gefährlich sind.

Ich bin ein großer Fan aller emissionsfreien Mobilitätsformen. E-Scooter und Pedelecs gehen Hand in Hand. Meine Zielsetzung ist es keinesfalls, nun auch Pedelecs aus dem ÖPNV auszuschließen – schon gar nicht Seniorenfahrzeuge. Allerdings möchte ich dringend über die derzeit sehr einseitige und falsche Kommunikation des VDV und vieler Medien („E-Scooter sind gefährlich, Pedelecs sicher.“) aufklären. 

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