Frau Diehl, ich mache mal ein Beispiel auf, dass Sie so oder so ähnlich immer dann hören, wenn Sie im ländlichen Raum unterwegs sind. Wenn ich von Wasserstraße nach Minden will, brauche ich für rund 27 Kilometer mit dem Auto 20 Minuten. Mit dem Bus dauert es 1:09 Stunden – wenn es optimal läuft und ich nicht abends oder am Wochenende unterwegs sein will. Wie soll Mobilitätswende bei uns funktionieren?
Für mich ist es keine Option, wenn etwas schlecht ist, es so zu akzeptieren. Ich möchte mich darum kümmern, dass es Alternativen gibt. Die Erwartungshaltung zu haben, dass wir mit einem Angebot die Bequemlichkeit des Autos ersetzen, ist ein falsches Versprechen. Aber wir sollten uns nicht mehr so lange fragen, was das kostet, sondern was es uns wert ist. Die Menschen können sich auswählen, wo sie leben und die wollen vielleicht mit ihren Familien nicht da wohnen, wo man gut parken kann, sondern wo die Kinder auf der Straße spielen können. Da sehe ich im ländlichen Raum fast noch mehr Chancen für die Mobilitätswende, auch wenn sich das erst einmal absurd anhört.
Gerade für Familien mit Kindern ist Mobilität wichtig. In der Stadt kann ich alles mit dem Fahrrad erledigen, aber sobald ich mit Kindern unterwegs bin und alles eng getaktet ist, wird es schwierig…
Es ist statistisch nachgewiesen, wenn Familien wegen der Kinder aus der Stadt ziehen, ist das der Moment, wo der Zweitwagen kommt. Ich würde gerne eine Welt schaffen, wo es heißt: Du kannst Auto fahren. Aber du kannst auch sicher Rad fahren. Kein Mensch, der mit zwei Ziegen auf einer Alm wohnt, erwartet, dass der Bus kommt. Manchmal frage ich mich, ob dieses Thema genauso ein Tabu ist wie der eigene Tod: Was wäre eigentlich, wenn ich nicht mehr Auto fahren kann? Ich hatte viele Gespräche zu meinem ersten Buch und da haben Leute geweint, weil sie erschrocken waren, dass ihr Leben autoabhängig ist. Andere haben gesagt, sie merken gerade, wie passend sie sich machen.
Auf Ihrer Homepage steht der Satz „Willst du oder musst du Auto fahren?“
Entweder freust du dich drauf oder du bist halt jemand, der sagt: Oh Gott, ich stelle mich gleich wieder in den Stau von gestern. Da haben ganz viele gesagt: Ich hab noch nie drüber nachgedacht. Will ich eigentlich? Muss ich? Und da wird es immer Leute geben, die super gerne Auto fahren. Ist ja auch okay. Jeder hat ein Hobby. Aber Mobilität innerhalb von Zwängen zu gestalten und von Abhängigkeiten, ist einfach falsch.
Aber der Zwang ergibt sich. Auf dem Land muss ich häufig schon allein deshalb Auto fahren, um einkaufen zu können…
Das ist aber nicht wie eine Naturkatastrophe über uns gekommen, das haben wir ja zugelassen. In den Niederlanden gab es in den Siebzigern „Stoppt den Kindermord“. Das war eine Protestbewegung, weil viele Kinder – wie auch bei uns – im Straßenverkehr zu Tode gekommen waren. Deswegen haben die Niederlande auch zu viele Autos, aber eben auch sichere Radwege. Um diese Gleichheit geht es mir. Auch viele Eltern sagen, dass das Elterntaxi Zeit klaut. Auch sie wollen, dass die Kinder selbstbestimmt zur Schule kommen.
Auch Minden möchte gerne mehr für Radfahrer tun, aber am Ende müsste man die gewachsenen Strukturen neu denken. Ist es ein realistischer Gedanke, eine Stadt umzubauen?
Das ist überhaupt nicht schwierig, aber man muss es wollen. Und in Deutschland sehe ich das noch nicht. Meine Befürchtung ist, dass es irgendwann wirklich katastrophal wird. Hier in Hamburg merkt man, wie problematisch zum Beispiel zwei beparkte Autospuren sind, weil diese Autos sich aufheizen und dann noch in der Nacht Wärme abgeben. Für mein nächstes Buch habe ich recherchiert: Bis 2030 brauchen wir laut einer Studie von Agora Verkehrswende drei Milliarden Euro, um ein flächendeckendes Rufbussystem im ländlichen Raum aufzubauen. Wir zahlen jährlich vier bis sieben Milliarden für das Dienstwagenprivileg, um mal eine Relation zu nennen. Wie wäre es denn, wenn wir nicht Autosubvention denken, sondern Mobilitätssubventionen?
Das Auto ist in Deutschland verknüpft mit einem Freiheitsgedanken, es ist also emotional aufgeladen. Da loszulassen, fällt unheimlich schwer…
Es gibt diesen Spruch: Einen gut entwickelten Raum erkennst du nicht daran, dass die Armen Auto fahren, sondern dass die Reichen im ÖPNV sitzen. Ein Auto kostet mehrere 100 Euro im Monat, wenn Sie Tanken, Versicherung, Wertverlust und so weiter einrechnen. Wenn wir dieses Geld im Monat nehmen, hätten wir ein Mobilitätsbudget, zu dem das Auto gehört, aber auch andere Dinge. Also gleiche Mobilität bei weniger Auto.
Nehmen wir mal an, wir hätten überall einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr und schauen auf einen Satz auf ihrer Internetseite: Jeder soll ohne eigenes Auto selbstbestimmt mobil sein. Wie selbstbestimmt ist man denn, wenn man auf einen Fahrplan angewiesen ist und nicht einfach ins Auto hüpft, das vor der Tür steht?
Diese Haltung zum Auto kann ich total verstehen. Und noch etwas ist nicht zu unterschätzen: Für manche Leute ist das Auto der einzig private Raum am Tag zwischen Job und Familie, wo beides auch mal anstrengend sein kann, aus den unterschiedlichsten Gründen. Ich glaube, diese Selbstbestimmtheit bezieht sich nicht auf Mobilität, sondern auf andere Dinge. Eine Freundin von mir fährt zum Beispiel gerne Auto, weil sie da laut singen kann. Da ist zwar toll, hat aber mit Mobilität nichts zu tun. Und ich verstehe die Panik auch nicht. Ich hätte als Automensch überhaupt keine Angst, dass da so schnell was passiert, dass ich mich nicht anpassen kann
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