Katja Diehl erhält Morddrohungen für ihre Autokritik. Die Expertin erklärt, wieso E-Autos nicht das Klima retten, wie die Verkehrswende gelingen kann – und warum sie keine Autohasserin ist.
Handelsblatt: Frau Diehl, wann war Ihre letzte Autofahrt?
Katja Diehl: Zählen Taxifahrten auch? Dann am letzten Sonntag in Berlin von einer Geburtstagsfeier zum Bahnhof. Ich war unterwegs mit einer Freundin, die aktuell nicht viel laufen soll. Und ich hatte mein Faltrad nicht dabei, das ich sonst für solche Wege nutze.
Also sind Sie also keine Autohasserin?
Nein. Ich fahre einmal im Monat eine Woche Auto, weil meine Eltern auf dem Land leben und pflegebedürftig sind. Dann kaufe ich für sie ein oder bringe sie zu Ärztinnen. Deswegen ist es absurd, wenn mich immer wieder Leute als Autohasserin beschimpfen. Ich fahre ja Auto. Allerdings nur, wenn ich muss. Ich wäre nicht traurig, wenn ich es nicht tun müsste, aber es geht aktuell nicht anders. Ich kann meine Eltern nicht auf den Gepäckträger schwingen.
Ihnen schlägt für Ihre Thesen viel Hass entgegen, wie ist Ihre aktuelle Situation?
Ich gebe drei bis vier Tausend Euro im Monat für meinen Selbstschutz aus. Meine Mails werden von einem Mitarbeiter gelesen, der zum Beispiel Morddrohungen herausfiltert. Dann habe ich eine Person, die beweissichere Screenshots von strafbaren Instagram-Kommentaren macht und diese zur Anzeige bringt. Dann muss noch der Anwalt bezahlen. Ich finanziere das durch die Einnahmen aus meinem Newsletter, aber natürlich hätte ich das Geld lieber für mich, als es zum Selbstschutz auszugeben. Persönlich habe ich seit ein paar Wochen aber eine tiefe innere Ruhe, dass das, was ich tue, richtig ist.
Sind die Deutschen Auto-brainwashed?
Ja, das merke ich schon daran, dass ich so stark angefeindet werde und regelmäßig Morddrohungen bekomme. Die Verbindung vieler Deutscher zu ihren Autos ist etwas sehr Irrationales und Emotionales. Und ich sehe, dass viele Menschen auf dem Land abhängig sind vom Auto. Aber ich habe kein Verständnis dafür, wenn sie sich gegen diese Abhängigkeit nicht wehren.
Aber dieses Aufbegehren ist nicht zu beobachten, wenn man von Phänomenen wie gelegentlichen Fahrrad-Demos absieht. Die PKW-Absatzzahlen steigen weiter.
Auf dem Land kaufen sich viele Haushalte gerade sogar das vierte Auto, anstatt sich für sichere Radwege und mehr ÖPNV einzusetzen. Ich verstehe nicht, warum man nicht aufgebehrt gegen solche Abhängigkeiten. Abhängigkeiten sind nie gut. Denn was ist, wenn Sie sich mal den Fuß brechen oder ein Medikament nehmen, wo drinsteht, Sie sollten keine schweren Geräte führen. Viele Autofahrer sehen nicht, dass jeder andere Deutsche in die Situation geraten kann, kein Auto fahren zu dürfen.
Warum schränkt die Automobilität in Deutschland aus Ihrer Sicht viele Menschen ein?
13 Millionen Erwachsene in Deutschland haben keinen Führerschein. Die werden bei solchen Debatten nicht mitgedacht. Und unser aktuelles System sorgt dafür, dass sich sehr viele Menschen dem Auto unterordnen müssen. Das fängt bei viel zu großen Parkplätzen in Städten an und hört auf bei 2830 Verkehrstoten in Deutschland im vergangenen Jahr. 365.000 Menschen wurden letztes Jahr im Straßenverkehr verletzt. Warum nehmen wir das einfach hin? Hier hat die Werbung der Autoindustrie enormen Einfluss. Und es liegt an einer Verkehrspolitik in Deutschland, die das Auto zementiert hat.
Sind Sie im Austausch mit Verkehrsminister Volker Wissing (FDP)?
Nein. Ich habe ihm ein vertrauliches Gespräch angeboten, darauf wurde nicht geantwortet. Und statt visionär zu denken, basieren seine Pläne darauf, den Status Quo für die kommenden Jahrzehnte hochzurechnen. Aktuell fahren viele Menschen Auto, also berechnet Wissing, dass wir noch mehr Autobahnen brauchen. Und damit reißt der Verkehrssektor jedes Jahr die Klimaziele. Das Gegenteil wäre richtig: Sektorenziele beibehalten und Verkehrspläne vom Ziel her denken.
Ist es zumindest ein Hoffnungsschimmer, wenn die Quote der Elektroautos in den kommenden Jahren schneller ansteigt?
Elektroautos sind nicht die Rettung des Klimas, sondern die Rettung der Automobilindustrie. Man sollte sich nicht als guter Mensch fühlen, nur weil man den Antrieb ausgetauscht hat. Damit benötigt man immer noch viel Platz, viel Flächenfraß.
Ja, Elektroautos könnten mit ihren Batterien ein Teil eines dezentralen Energiesystems werden. Und wir werden damit unabhängiger von Despoten, die uns fossile Brennstoffe verkaufen. Aber die Produktionskette des Autos bleibt fossil und es werden sehr viele Rohstoffe dafür benötigt, dass am Ende trotzdem meist nur ein Mensch im Auto sitzt.
Was ist das Hauptziel Ihres neuen Buches „Raus aus der AUTOkratie“?
Mir geht es darum, Entscheidungsträgerinnen zu Wort kommen zu lassen, die mit ihrer Macht vor Ort die Verkehrswende voranbringen. Ich zeige auf, wie Städte wie Paris in hohem Tempo den Verkehr in der Stadt radikal verändert haben. Solche Beispiele gibt es auch in Deutschland, etwa in Nordhorn, wo der Anteil des Radverkehrs auf 40 Prozent gesteigert wurde. Dort kann man unterbrechungsfrei am Fluss entlangfahren – und muss sich auf dem Rad nicht durch den Stau der Abgase schlängeln.
Es braucht gute Infrastruktur für Alternativen zum Auto, um die Menschen zu überzeugen. Durch mein erstes Buch „Autokorrektur“ habe ich gelernt, dass viele Menschen gegen ihren Willen im Auto sitzen, weil die Gesellschaft ihnen keine Lösungen gibt. Die Lösung wäre ein barrierefreies Angebot, mit dem die Menschen sich sicher fühlen. Und diese Alternative muss bezahlbar sein.
Aber etwa das Deutschlandticket für 49 Euro ist für viele Menschen nicht bezahlbar. Und bislang ersetzen die Fahrten mit dem Deutschlandticket kaum Fahrten mit dem Auto. Gleichzeitig ist der Bundeshaushalt auf Kante genäht. Wie wollen Sie hier noch mehr Infrastrukturausgaben finanzieren, um die Verkehrswende zu ermöglichen?
Es entstehen große Spielräume, wenn wir an anderer Stelle Ausgaben sparen. Deutschland sollte alle Autosubventionen streichen: Pendlerpauschale, Dienstwagenprivileg, Dieselsubventionierung, kostenlose Parkplätze gehören abgeschafft. Außerdem müssen alle Autobahn-Neubauten sofort gestoppt werden. Warum sollten wir eine individuelle Fortbewegungsart fördern, bei der fast immer nur ein Mensch transportiert wird? Das ist nur eine Industriesubvention. Außerdem müssen wir die externalisierten Umweltfolgekosten in das Produkt zurückführen. Dann hätten wir jedes Jahr dreistellige Milliardenbeträge mehr zur Verfügung als Mobilitätsbudget!
Wie wollen Sie die Politik von diesen Schritten überzeugen?
Eine echte Verkehrswende erhöht die Sicherheit der Bevölkerung, säubert die Luft, die wir atmen. Und die Lebensqualität der Menschen steigt, wenn es weniger Autoverkehr gibt. In Paris sind die Touristenzahlen nach der Mobilitätswende weiter angestiegen. Die Menschen reisen nicht nach Berlin, weil man da so gut parken kann. Mobilitätswende macht also auch ohne Klimakatastrophe Sinn. Und es ist umso erbärmlicher, dass wir es trotz Klimakatastrophe nicht hinbekommen.
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