Zu Gast bei We ride Leipzig: Raus aus dem System Auto.

Robert im Interview mit Katja Diehl

Hallo Katja, in den vergangenen Wochen haben wir uns immer wieder gefragt: Wie kann es sein, dass der ländliche Raum in Deutschland hinsichtlich der Mobilität so abgehängt ist?

Die Antwort darauf besteht aus zwei Teilen. Zum Einen wurde funktionaler ländlicher Raum kaputt gemacht – das will heißen, dass es zum Beispiel einmal Busverbindungen in diesem einst gesunden Raum gab, die dann allerdings verdrängt wurden. Selbst nach den Kriegen wiesen die Städte zu 60 Prozent eine gute Qualität für das Zufußgehen auf. Den Bäcker, Fleischer oder Supermarkt erreichten wir zu Fuß. Das Auto hat die Entfernungen vergrößert und es möglich gemacht, längere Distanzen zu überbrücken. Wir haben uns zu sehr auf dieses Verkehrsmittel verlassen und ihm die Infrastruktur überlassen. Die Busverbindungen waren nicht mehr nachgefragt. Viele Busverkehre im ländlichen Raum sind daher fast auf den Schulverkehr reduziert worden und machen im Alltag als Alternative zum eigenen Pkw keinen Sinn. Menschen ohne Führerschein oder ohne Auto sind in bestimmten Regionen in Deutschland abgehängt. Der andere Erzählstrang ist, dass die ländlichen Räume, die nach der Dominanz des Autos besiedelt wurden, ohne Infrastruktur gedacht wurden. Das heißt: Stellplätze sind die eigenen Grundstücke, der ÖPNV und Radwege fehlen komplett. Es gibt Länder, die es genau umgekehrt machen – die bauen zuerst die Infrastruktur für den ÖPNV und Radverkehrssysteme und bauen dann das Dorf. Dazu greift der “Donut-Effekt”, das heißt, es entstehen ringsherum wieder Dörfer ohne Anschluss und der eigentlich gesunde Dorfkern verödet, sodass auch wieder alles ins Auto gedrängt wird, um die kulturellen Treffen und Nahversorgung sicherzustellen. Diese Faktoren tragen aus meiner Sicht dazu bei, dass die ländlichen Räume dysfunktional werden und vor allem das Missverständnis begünstigen, dass das Auto als Lösung wahrgenommen wird. Das Auto ist aber keine Lösung, wenn du davon abhängig bist und keine Wahlfreiheit existiert.

Wir stecken sozusagen in einem selbstgeschaffenen Dilemma. Das Auto ist die Ursache dafür, dass wir im ländlichen Raum abgehängt sind, und gleichzeitig betrachten wir es als Lösung für dieses Problem. Wie beheben wir diesen Zielkonflikt?

Es geht sozusagen um Neukund*innenakquise. Alle, die jetzt im Auto unterwegs sind, sind Kund*innen für neue Mobilitätskonzepte und alternative Mobilität. Mir geht es auch nicht darum, dass die Menschen im ländlichen Raum ihre Autos abschaffen, aber ich sehe, dass auf jede Person in einem Haushalt ein eigenes Auto kommt. Hinter diesen Gedanken möchte ich gern ein Fragezeichen setzen und fragen, ob diese Vollversorgung notwendig ist. Vielmehr geht es mir um den Gedanken, an alle zu denken – auch diejenigen ohne Führerschein und ohne Pkw. Das sind 13 Millionen Erwachsene. Deswegen habe ich mein Buch “Autokorrektur” geschrieben – es ist eine Empathieeinladung. Warum müssen Menschen mit dem Auto fahren, obwohl sie es hassen? Weil die Alternativen fehlen. Ich glaube, wenn wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass Alternativen entstehen, haben wir selbst auch etwas davon, weil wir unabhängiger werden. Ich denke dabei auch an die Zielgruppe Kinder – Kindermobilität, die nur mit dem Auto stattfinden kann, bindet Zeit im Elternkalender und macht Kinder fremdbestimmt. Ich glaube, wir kommen aus diesem eingangs erwähnten Dilemma raus – aber sicherlich nicht in allen ländlichen Räumen, weil einige zu sehr abgeschlossen und auf das Auto konzentriert wurden. Wenn sich Menschen darauf einlassen und auf das Auto angewiesen sein wollen: Fair enough! Ich appelliere dafür, dass die Menschen im ländlichen Raum hinschauen und sich fragen: Ist die Abhängigkeit gefährlich für mich? Die Augen müssen für diesen Gedanken offen sein! Bedenken sollte man allerdings auch, dass die Stadtbewohner*innen mit den Autos, die vom Land kommen, zusätzlichen Abgasen ausgesetzt werden und ihren Straßenraum verkleinern. Was ich sagen will: Wir können zum Guten für alle wirksam werden, wenn es Alternativen gibt. 

Welche echten Alternativen haben wir?

Wir müssen einen Schritt eher ansetzen: Das deutsche Auto fährt 45 Minuten am Tag mit einer Person an Bord. Da gibt es aus meiner Sicht ganz viel Bedarf zum Umdenken. Sicherlich hat das etwas mit Bequemlichkeit zu tun. Aber wenn wir von Alternativen sprechen wollen, müssen wir auch Alltagsmobilität mit dem Rad abbilden. Wenn ich an die letzte #Eurobike-Messe in Friedrichshafen zurückdenke, denke ich vor allem an den langen Stau vor der Fahrradmesse und Plakate in den Messehallen, die mir in ihrer Bildsprache von Matsch und Sport erzählen. Aber ich finde dort mit meiner Alltagsradmobilität nicht statt. Oder lass uns nochmal zu Freizeitattraktionen im ländlichen Raum kommen: Warum erheben wir keine Gebühr für Parkplätze? Warum setzen wir nicht Shuttlebusse ein, die für Fahrradmitnahmen geeignet sind? Anstatt nur exklusiv für das Auto zu planen. 

Du schreibst in deinem Buch darüber, dass wir unser Verhalten für eine inklusive und klimagerechte Verkehrswende ändern müssen. Was muss darüber hinaus passieren?

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Privilegien fürs Auto fallen müssen. Mittlerweile stehen in meiner Straße überall Vans, Tiny Houses und Wohnmobile. Diese Sache der Individualisierung möchte ich als Teil der Gesellschaft nicht mittragen. Natürlich kann die jeder haben – aber stellt sie doch bitte auf einen überwachten Parkplatz vor der Stadt. Du kannst Angebote schaffen, aber du musst das Auto gleichzeitig auch unbequem machen. Warum sollte ein Automensch, für den sich die Welt nicht verändert, seine Automobilität verändern? Mittlerweile kostet das Parken in meiner Straße 30 Euro im Jahr. Ich bin die Radikale, weil ich es ausspreche – in der Politik spricht niemand an, dass wir deutlich weniger Autos brauchen. Wir müssen raus aus Dingen wie Dienstwagen-, Diesel- und Raum-Privileg. Wir müssen aus dem System Auto raus. Automobilität ist der vielleicht am meisten deregulierte Markt in Deutschland. Wenn wir uns da rausziehen, haben wir auch Gelder für andere Dinge. 

Wie groß ist der politische Wille für solche Veränderungen? Denkst du, es ist der Politik bewusst, was zwischen Stadt und Land passiert?

Es wird kein Kilometer Autobahn von den Politker*innen hinterfragt, aber bei jedem Radwegesystem, das neu entsteht, wird über Posten diskutiert. Das stört mich sehr, denn wir sollten uns immer fragen: Was ist uns gute Mobilität wert? Ich wäre total für die Einführung einer einkommensabhängigen GEZ für gute Mobilität, denn momentan ballert mein ganzes Steuergeld in das Autosystem – ohne dass ich eine Wahl habe, weil wir alle für diese externalisierten Kosten aufkommen. Ich glaube, der politische Wille ist weit hinter dem zurück, was die Gesellschaft will. Weil die Gesellschaft, die Veränderung will, sehr leise ist. Man spürt es vor allem an der aktuellen Debatte um die Klimakleber*innen auf der A10 in Berlin und eine von einem Betonmischer getötete Radfahrerin. Sieben Mal am Tag werden Personen im deutschen Straßenverkehr getötet – 880 Menschen werden jeden Tag schwer verletzt, scheiß egal, aber sobald sich ein kleiner Verdachtsmoment ergibt, wird diskutiert. Das zeigt eben auch, wie sehr wir uns an Verkehrstote und -verletzte gewöhnt haben. Es ist keine natürliche Ursache. Wenn man will, kann man das minimieren – aber es gibt dafür keine Lobby, weil die Verkehrstoten anonym sind. Es sei denn, sie werden instrumentalisiert. Wir müssen lauter werden. Wir müssen aufhören, uns gegenseitig zu zerhacken – lasst uns als Bubble, die etwas verändern will, zusammenrücken. Wir haben noch zwei Jahre, um gegen die Klimakrise wirksam zu sein. Wir wissen, dass im Transportsektor 61 Prozent CO2 von privaten Pkw kommen – dann ist doch klar, was wir als Aufgabe vor uns haben. Der politische Wille, die Pariser Klimaziele zu erfüllen, ist offensichtlich – aber er wird nicht als Führungsinstrument wahrgenommen. Ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass wir als Deutschland zwar unterschrieben haben, aber dass es absolut keine Relevanz hat.

Gibt es aus deiner Sicht ein gutes Vorbild dafür, wie die Hürden zwischen Stadt und Land überwunden werden können?

Immer wieder genannt wird die Region Vorarlberg im Westen von Österreich, die eine sehr gute ÖPNV-Anbindung hat. Aber wir können gern in Deutschland bleiben – zumindest was die Umsetzung von Plänen angeht, ist der Verkehrsminister Winfried Hermann in Baden-Württemberg sehr weit vorn. Er hat den Strategieplan für den ÖPNV 2030 ausgerufen – bis 2030 sollen im ländlichen Raum Verbindungen im Halb- und Stundentakt existieren. Wo dies nicht umsetzbar ist, werden Rufbussysteme eingeführt. Zur Verlautbarung hieß es: Na klar ist das ambitioniert, aber wir nehmen unsere Ziele ernst. Dazu hat er die Kampagne „Neue Mobilität: bewegt nachhaltig“ eingeführt, sodass Fahranfänger*innen Carsharing-Angebote über ihre Fahrschule kennenlernen und an Verlosungen teilnehmen können oder zum Beispiel Senior*innen, die ihren Führerschein abgeben wollen, ein kostenfreies Jahresabo für den ÖPNV bekommen. Sehr clever! Wir müssen eben nur aus unseren gewohnten Denkmustern ausbrechen …

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