Zum Inhalt springen

Wege aus Backlash, Fakenews und politischer Handlungsverweigerung: Wie lautet die Analyse von Maren Urner, Claudia Kemfert und Bernd Ulrich?

Gegen Claudia Kemfert wurde eine mediale Kampagne gefahren, ihre Arbeit als „Aktivismus“ geframt. Maren Urner und ich erlebten ähnliches, bei mir war der Höhepunkt ein Februar mit unzähligen Morddrohungen. Bernd Ulrich analysiert als stellvertretender Chefredakteur der ZEIT und Autor schon lange das politische Nichthandeln.

Ich habe die drei gebeten, auf ihre jeweils eigene Art auf den Backlash zu schauen, vor allem aber auch auf die Wege, die aus ihm heraus führen.

Claudia habe ich gefragt, wie Wissenschaftler:innen diese Anfeindungen und Diffamierungen aushalten? Ihre Antwort: Indem wir weiter forschen. Und die Methoden des „Zweifelsäens“ analysieren und transparent machen. Und darüber kommunizieren. Und sich nicht beirren lassen. Wie wir alle es nicht tun sollten. Denn der Klimaschutz muss jetzt gelingen. Trotz aller Widerstände.

Ihre Analyse: Die Demokratie als Ganzes rückt zunehmend ins Visier der fossilen Kampf-Maschinerie. Wer immer sich für vielfältige, selbstbestimmte Lebensformen einsetzt, wer immer auf Transparenz, faire Marktbedingungen und die Freiheit von Presse, Medien und Religion pocht, wird in die virtuelle Mangel genommen.

Und ihre Hoffnung: In der Wissenschaft finden sich glücklicherweise immer mehr Menschen, die sich für verständliche Wissenschaftskommunikation stark machen.

Maren Urner hat als Neurowissenschaftlerin einen ganz speziellen Blick auf die Irrungen und Wirrungen, die aktuell entgegen der Faktenlage entstehen. Sie sagt, dass es falsch ist zu denken, dass alles zu haben und alles zu tun Freiheit bedeutet.

„Wir häufen Besitztümer, Titel und Errungenschaften jeglicher Art an, um uns der überall plakatierten Freiheit anzunähern und werden dabei vor allem eins: immer unfreier.

Warum?

  1. Weil uns Studienergebnisse aus der Psychologie und den Neurowissenschaften zum sogenannten Paradox der Auswahl lehren, dass wir glücklicher und zufriedener sind, wenn wir zwischen weniger Optionen wählen können.
  2. Weil unsere naive Vorstellung, „frei“ – im Sinne von „unabhängig von anderen Einflüssen“ – entscheiden zu können, ganz schnell in eine Sackgasse führt. So zeigen uns Studienergebnisse aus den unterschiedlichsten Disziplinen am laufenden Band, dass und vor allem wie sehr beispielsweise Hormone, Umgebungsgeräusche unsere Entscheidungen beeinflussen.
  3. Weil jede zusätzliche Verantwortung zum Beispiel in Form von Besitztümern unseren „freien“ Entscheidungsraum eingrenzt. Ganz einfach, weil alles, was wir besitzen, einen Teil unser mentalen Ressourcen beansprucht.“

Ihr Vorschlag: Maximale Freiheit besteht darin, sich der Einflüsse der eigenen Entscheidungen möglichst neugierig bewusst zu werden. Um dann fast frei zu entscheiden, ob wir sie annehmen – oder uns von ihnen befreien wollen.

Bernd Ulrich und ich saßen kurz nach dem Start der Ampelkoalition zusammen und er wollte mit mir optimistisch gestimmt eruieren, wie es denn zu einem guten Austausch zwischen dem neuen Verkehrsminister und Menschen wie mir kommen könne. Bernd sieht die Unfähigkeit, im Klimanotfall adäquat zu handeln, als Spiegel einer Kränkung. „Sie stellt alles infrage, was dem Menschen zu Stolz und Ehre gereicht, sie versieht fast alle Erzählungen mit einem Fragezeichen, die der moderne Mensch gern über sich selbst verbreitet.
Einzelne Handlungen stehen im Verdacht, zu einem gewaltigen Zerstörungswerk beizutragen. Auf diese Weise wird die Klimakrise mehr und mehr zu einer Art negativen Teleologie, the worst is yet to come. „Das Schlimmste kommt noch.“

Aber er bleibt optimistisch: Ja, es handelt sich bei der ökologischen Wende um eine der größten Transformationen in der Geschichte der Menschheit. Auf der anderen Seite war diese Menschheit aber auch noch nie so wissend, so vernetzt wie heute. Die Voraussetzungen sind da, das Problem ist weder wissenschaftlicher noch technischer Natur, sondern rein mental.
Man muss die Kränkung also nicht einfach ertragen. Man kann etwas dagegen tun, was doch recht tröstlich ist. Und sehr würdig.“

Weiterführende Informationen zu den Gäst:innen:

Claudia Kemfert:
Aktuelles Buch „Schockwellen“
Ihre Veröffentlichungen finden sich hier.

Maren Urner:
Ihre Bücher finden sich hier.

Bernd Ulrich:
Der genannte Artikel findet sich hier.
Da seine Bücher auf mehrere Verlage verteilt sind, gebe ich die Übersicht mal mit dem von mir favorisierten Buchversand Buch7.

6 Gedanken zu „Wege aus Backlash, Fakenews und politischer Handlungsverweigerung: Wie lautet die Analyse von Maren Urner, Claudia Kemfert und Bernd Ulrich?“

  1. Vielen Dank an alle Beteiligten! Eine sehr interessante Diskussion. Das war schon eine echte Fortbildung! Die verschiedenen Persönlichkeitstypen – stelle ich mir vor -spielen sicherlich auch eine Rolle im annehmen von Veränderungen.
    Karl Poppers Theorien mag ich persönlich sehr gerne. Besonders bitter in diesem Zusammenhang ist was Erich Fromm auch schon gesagt hat: Lieber in ein autoritäres System fliehen als sich der Eigenverantwortung zu stellen. Popper plädiert auch immer dafür, dass wissenschaftliche Dinge einfach erklärt werden sollten. Jeder sollte es verstehen können. Ich denke das ist sehr wichtig aber auch was Fromm sagt, könnte ich ergänzen lieber in Bequemlichkeit abtauchen als Eigenverantwortung zu übernehmen. Oder?
    Ich mache mir große Sorgen wegen dem Rechtsdruck und unsere Regierung zur Zeit begreife ich gerade gar nicht. Als ob sie total blind sind! Ich höre auch nur noch einmal täglich Nachrichten (Radio). Zeitung gibt es nur noch einmal wöchentlich. Sonst werde ich bekloppt!
    Ich versuche nach besten Wissen und Gewissen zu leben und hoffe auf irgendeine menschliche Einsicht. Ich mache den Mund auf und diskutiere aber zuhören tun die wenigsten. Die eigenen Überzeugungen der Gesellschaft sind schwer zu knacken und letztendlich habe auch ich nicht die Weisheit mit dem Spaten gefressen! Die immer gleichen Diskussionen sind zermürbend und machen müde.
    Danke dir liebe Katja für Dein Engagement und die ganze Arbeit! Ich glaube auch, dass es eine größere Menge Menschen gibt die etwas verändern möchten. Manchmal fehlen aber die Mittel. Trotzdem – klein Vieh macht auch Mist!

  2. Liebe Anette,

    leider ist wissenschaftlich Belegt, dass eben der Mist vom Kleinvieh nicht reichen wird, um irgend etwas zu ändern. Für signifikante Änderungen brauchen wir gesellschaftlichen Wandel.

    Und für den müssen wir offenbar kämpfen. Wer jetzt noch zögert, hat die Dramatik leider immer nicht verstanden – oder zu viel Angst vor der Veränderung. Bloß wird die so oder so kommen.

    1. So ist es – und das macht mich teilweise auch enorm müde. Weil sehr viele aus Industrie und Politik schlicht lügen und den Menschen glauben machen, es könne alles so weitergehen. Ich kann sogar verstehen, dass Menschen das dann auch gern glauben, weil es ein besseres Gefühl ist als das, viel ändern zu müssen. Diese Ehrlichkeit wäre hilfreich, denn gemeinsam können wir tolles erschaffen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert