Tödlich verharmlost – wie Sprache Verkehrsgewalt unsichtbar macht.

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In dieser Folge sprechen Felix Schindler, Andrea Sabine Sedlaczek und Dirk Schneidemesser mit mir über sprachliche Verharmlosung, Verantwortung und den Sprachkompass.

Jeden Tag sterben acht Menschen im Straßenverkehr. Und doch liest man in der Zeitung meistens: „LKW übersieht Radfahrerin.“
Als wäre es ein Schicksalsschlag.
Es ist so, als hätte niemand gehandelt.
Es scheint so, als würde sich niemand verantwortlich fühlen.
In dieser Folge von She Drives Mobility spreche ich mit einem ganz besonderen Team hinter dem Projekt Sprachkompass. Das ist ein interdisziplinärer Forschungsprojekts, das zeigt, wie Sprache unser Denken, unsere Stadtplanung und letztlich unser (Nicht-)Handeln beeinflusst.

Wer spricht – und warum das wichtig ist:
Felix Schindler, ein Journalist aus der Schweiz, hat sich mal die Routinen der Medien vorgenommen.

„Ich habe selbst jahrelang solche Kurzmeldungen redigiert – ohne zu hinterfragen, wie entmenschlichend die Formulierungen sind. Erst als Vater habe ich gespürt: Diese Sprache macht etwas mit unserer Wahrnehmung von Sicherheit.“

„Wenn ein LKW plötzlich ‚übersieht‘, wird Verantwortung sprachlich ausradiert.“

„Solche Formulierungen wie ‚wurde erfasst‘ klingen technisch, aber sie entlasten – und das unbewusst.

Andrea Sabine Sedlaczek, Sprachwissenschaftlerin aus Wien, zeigt, wie Worte unser Weltbild prägen:

„Wenn wir von „Unfällen“ oder „übersehenen Personen“ sprechen, machen wir Täter zu Opfern und die Opfer zu bloßen Randnotizen. Sprache reproduziert Gewalt, oft ungewollt.“

„Sprache ist kein neutrales Werkzeug – sie ist ein Verstärker von Machtverhältnissen.“

„Wer passiv formuliert, schützt Strukturen – nicht Menschen.“

„Wenn Medien von ‚Verkehrsteilnehmenden‘ sprechen, verwischt das, wer gefährdet – und wer gefährlich ist.“

Dirk Schneidemesser, Mobilitätsforscher vom RIFS Potsdam, bringt es auf den Punkt:

„Ein Auto kann niemanden ‚erfassen‘. Das machen Menschen. Aber wenn wir solche Formulierungen ständig lesen, verschwinden Verantwortung und Strukturprobleme aus dem Fokus.“

„Verkehr ist kein Naturereignis – und Gewalt auf der Straße ist keine unvermeidbare Folge.“

„Der Sprachkompass zeigt: Wer klar benennt, kann auch klar verändern.“

„Sprache entscheidet mit, ob wir ein Opfer betrauern – oder Ursachen beseitigen.“

In dieser Folge lernst du Folgendes:
Sprache ist nie neutral. Sie beeinflusst, wie wir Schuld, Verantwortung und Systemfehler einordnen.
Oft stehen in Texten Opfer im Fokus, während die Täter verschleiert werden. Das liegt daran, dass die Polizei- und Medienlogik so funktioniert. Es werden vor allem passive Formulierungen verwendet: „Radfahrerin geriet unter LKW“, „Kind wurde erfasst“ – der Mensch hinter dem Lenkrad bleibt unsichtbar.

Die Zahlen sprechen für sich:
In 69 % der Texte, die untersucht wurden, wurden passive Formulierungen verwendet.
In 95 % der Fälle fehlt jede statistische Kontextualisierung.

Die Sprache ist fünfmal öfter entlastend für Autofahrer:innen als für Fußgänger:innen oder Radfahrer:innen.
Es geht nicht darum, irgendjemandem die Schuld zu geben, sondern darum, die Dinge richtig zu beschreiben – also die Ursachen, die Beteiligten und den Kontext.
Der Sprachkompass zeigt: Wenn sich die Sprache ändert, kann sich auch das System ändern.

Der Leitfaden richtet sich insbesondere an Polizei und Medien. Er soll aber auch dazu beitragen, die Verantwortung aller für die Verkehrssicherheit sprachlich sichtbar zu machen.

Dazu gibt er fünf Empfehlungen:

  • Unfälle nicht als Schicksal, sondern als menschengemacht darstellen. Beispiel: „A und B kollidierten“ statt „Es kam zum Unfall.“
  • Alle beteiligten Personen und deren Handlungen benennen. Beispiel: „Fußgängerin von Velofahrer angefahren“ statt „Fußgängerin angefahren“.
  • Die Perspektiven der Beteiligten klar kennzeichnen. Beispiel: „Der Autofahrer erklärte, er habe die Fußgängerin übersehen.“ statt „Der Autofahrer übersah die Fußgängerin.“
  • Den Ermittlungsstand transparent machen. Beispiel: „Wie schnell die Autofahrerin unterwegs war, ist nicht bekannt.“ statt „Die Hintergründe des Unfalls sind Gegenstand der Ermittlungen.“
  • Einzelereignisse in einen größeren Zusammenhang stellen. Beispiel: „Das ist die vierte Kollision auf dieser Kreuzung in diesem Jahr.“

Warum du diese Folge hören solltest:
Weil sie dir zeigt, wie Gewalt systematisch unsichtbar gemacht wird – und wie wir durch bewusste Sprache echte Veränderung anstoßen können.
Denn: Was wir nicht benennen, das können wir nicht bekämpfen.

Mehr zur Studie & Materialien für Medien und Polizei:
sprachkompass.ch
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Teile diese Folge mit Journalist:innen, Politiker:innen, Planer:innen und allen, die glauben, Sprache sei „nur ein Stilmittel“. Sie ist unser mächtigstes Werkzeug.

5 Antworten zu „Tödlich verharmlost – wie Sprache Verkehrsgewalt unsichtbar macht.“

  1. Avatar von André Rohrbeck
    André Rohrbeck

    Hi Katja,
    danke für die gute Podcast-Folge! Ergänzend möchte ich auf eine Masterarbeit eines Polizeirats hinweisen, die sich genau dieses Themas angenommen hat. Die Erkenntnisse von Jan Nordhoff fügen sich nahtlos in das von Euch im Podcast gezeichnete Bild.
    Wir haben diese Masterarbeit zum Anlass genommen von Seiten ADFC mit der Polizei Kontakt aufzunehmen, um diese für das Thema zu sensibilisieren. Ich bin gespannt ob wir auch so gute Ergebnisse wie Ihr sie aus Berlin berichtet habt, erzielen können.

    Hier der Link zur Arbeit in der WISOM-Datenbank: https://www.wisom.de/content/titleinfo/25032 (leider nur für registrierte Benutzer)


    1. Oh super, das schaue ich mir an. Danke!


  2. Avatar von Harald

    Welche Versicherung macht den „Unfall mit Personenschaden“ wieder gut?
    WER forderte ein Todedopfer? Der Verkehr? Wer ist das?


  3. Avatar von Michael Zielinski
    Michael Zielinski

    Hast du einen Link zu dem im Podcast erwähnten Artikel mit dem älteren Autofahrer der den Führerschein nicht mehr bestehen würde ?


  4. Avatar von Sven Anders
    Sven Anders

    Der Link ist falsch es muss sprachkompaas.ch heissen


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