Eigentlich wollte die Ampel-Koalition viel tun im Bereich der Mobilität, doch bisher ist viel zu wenig passiert – findet unsere Kolumnistin.
Mein Wunsch an die Verkehrspolitik? Empathie und Gesetzestreue. Mich beunruhigt zunehmend, wie sehr die deutsche Verkehrspolitik das menschliche und das klimatische Maß vermissen lässt.
Der elf Jahre alte Film „The Human Scale“ zeigt das Wirken des dänischen Architekten und Städteplaners Jan Gehl, der stets den Menschen als Wesen mit Bedürfnissen in den Fokus stellt. Und – Surprise! – das Auto immer depriorisiert. Wie er den Times Square in New York City den Menschen zurückgab, ist ebenso Thema wie Projekte aus Indien, Australien und anderen scheinbar unterschiedlichen Kulturen, die alle dieselbe Sehnsucht haben: Nähe und Begegnung. Ich nenne Pkw mittlerweile auch „Interaktionsvermeidungsmaschinen“: Wir steigen in vertrauter Umgebung ein und am Ziel meist wieder aus – da, wo das Leben „uns passt“. Wann sind Sie das letzte Mal mit dem Pkw losgefahren und haben Menschen getroffen, die nicht Ihrer Lebenssphäre entsprachen und Ihren Horizont somit unerwartet erweitern konnten?
Vor den Autos, auch in meiner Kindheit, erzog immer auch die Straße den Nachwuchs. Es klingelte, ich stürmte runter zu meinen Freund:innen und hörte den einzigen Hinweis: Sei zum Abendbrot wieder zu Hause! Wie viel wir Kindern in dieser Lebensphase genommen haben, weil durch das Auto ihre Umgebung zu feindlichem Gebiet wurde! Nicht mal die Hälfte von ihnen ist täglich draußen, sie werden von geschlossenem Raum zu geschlossenem Raum gebracht – stets in Begleitung und Obhut von Erwachsenen.
Dass sich Politiker:innen selten an ihre Wahlversprechen halten, ist eine Normalität, an die ich mich mit Schmerzen gewöhnt habe. Spätestens durch Koalitionsverhandlungen. So war es der FDP ungemein wichtig, das Tempolimit aus- und unsinnige E-Fuels nicht auszuschließen.
Dennoch: An Gesetze sollten sich Politiker:innen halten. Daran lasse ich nicht rütteln. An Verträge, die unterzeichnet wurden. Für die Verkehrspolitik sind relevant: das Pariser Klimaabkommen, das deutsche Klimaschutzgesetz und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, alle politischen Entscheidungen nicht zuungunsten kommender Generationen zu treffen, also klimapositiv zu agieren. Wo stehen wir grad im Verkehrssektor?
Er ist das Sorgenkind, mit steigenden Emissionen – über 60 Prozent davon kommen vom privaten Pkw. Wir müssen ran an die überbordende Automobilität, die erneut steigende Zulassungszahlen und damit den Beweis einer verfehlten Verkehrspolitik erbracht hat. Indikator einer zeitgemäßen und vor allem klimagerechten Politik wären sinkende Bestandszahlen. Stattdessen will der Verkehrsminister Autobahnen schneller ausbauen und bereitet uns in einem FAZ-Podcast in einer selbsterfüllenden Prophezeiung darauf vor, dass es erst mal mehr Autos geben wird.
Zeit für einen Perspektivwechsel – hin zu jenen, die keinen Führerschein oder kein Auto haben. Die im ländlichen Raum ohne Auto kein mobiles Leben führen können. Die mit ihrer Behinderung noch mehr Barrieren erfahren, weil Barrierefreiheit zu oft nur Lippenbekenntnis bleibt.
Es macht mich betroffen, wie sehr sogar in dieser ausgeprägten Klimanotlage die Dringlichkeit der Transformation von Menschen in Macht aberkannt wird. Nicht selten denke ich an das Bild von den drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Das jedoch verändert die Realität nicht. Klar, auch ich möchte manchmal zurück unter diesen gemütlichen, moosbewachsenen Stein, unter dem ich vor Jahrzehnten saß und nix von der Klimakatastrophe ahnen „musste“. Ich bin ehrlich: Natürlich waren da schon längst alle Fakten vorhanden. Aber es gelang mir noch, sie zu verdrängen.
Im aktuellen Koalitionsvertrag steht: „Wir wollen die 2020er-Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen. […] Die erforderlichen Entscheidungen zur Erreichung unserer Klimaschutzziele für 2030 und 2045 mit dem Ziel der Dekarbonisierung des Mobilitätsbereiches werden wir treffen und die praktische Umsetzung deutlich beschleunigen.“ Fazit: Das erste Jahr Ampel hat diese Ziele noch nicht mal ansatzweise im Blick gehabt, sondern ist ein reines, automobiles „Weiter so“.
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