Ich habe sie kommen sehen: die vielen kritischen Stimmen, die sagen, dass es keine gute Idee war, dem Unsinn einer Steuerreduzierung für Sprit symbolisch eine Einladung in den ÖPNV entgegenzusetzen.
Ich zitiere Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter – und damit eine der vielen Stimmen auf Länderebene, die allesamt mit dem Vorgehen nicht einverstanden sind: „Wenn, wie erwartet, viele Menschen das Ticket nutzen wollen und dafür zusätzliche Züge und Busse bereitgestellt
werden müssen, will der Bund das Geld dafür nicht aufbringen. Auch von den eigentlich im Koalitionsvertrag der Ampel vorgesehenen Mitteln für den Ausbau des ÖPNV und zur Unterstützung der Verkehrsunternehmen ist nun plötzlich keine Rede mehr.“ Und weiter: „Die
Bundesregierung hat sich mit dem ‚9 für 90 Ticket‘ eine schöne Schlagzeile ausgedacht,
will sich bei der Umsetzung aber einen schlanken Fuß machen.“
Während die Autoindustrie gefühlt nur husten muss, um Milliarden ohne Zielvereinbarung zu erhalten, werden alle anderen Mobilitätsformen – wenn überhaupt – nur mit Unwillen und einer Oberflächlichkeit behandelt, die beschämend ist. Zumal die Steuersenkung auf fossile Brennstoffe in der Sommerurlaubszeit auch mit der Gießkanne ausgekippt wird, anstatt sie einkommensspezifisch auszuarbeiten. Menschen in Armut sind zwar gern „Ausrede“, um an der Autofixierung unseres Verkehrssystems nichts zu verändern – für diese Menschen selbst verändern Politiker:innen jedoch auch nichts.
Der Ausbau eines guten ÖPNV-Systems ist zum Beispiel gerade für Menschen in Armut relevant – nur die wenigsten besitzen in dieser Bevölkerungsgruppe ein Auto. Und auch jene mit Auto würden lieber einmal im Monat ein Ticket planbar bezahlen, als die unabwägbaren Kosten
eines gebrauchten Pkw zu tragen.
Woher kommen diese Konflikte? Natürlich aus der Perspektive aus der Windschutzscheibe
heraus. In Deutschland gibt es 13 Millionen Erwachsene ohne Führerschein und nochmal mehr, die zu jung für einen Führerschein sind. Das sind knapp 30 Millionen Menschen, die hier ohne eigene Mobilitätslobby leben. Ihre Stimmen werden nicht gehört, weil in all unseren Köpfen der Gedanke existiert:
„Zur Not kann ein Mensch ja immer noch Auto fahren.“
Ist das ein guter Gedanke? Nein. Weil er das Auto missdeutet zu einer Lösung von Problemen, die Politik erst erzeugt hat mit ihrer Autofixierung. Tausende Schienenkilometer wurden abgebaut, Buslinien wurde zu Schüler:innenverkehren zusammengeschrumpft. Aber auch die Bevölkerung selbst hat dafür Sorge getragen, dass die Wege immer länger wurden, während die Anzahl der Wege sich seit dem Beginn der Menschheit stabil hält. Der Supermarkt, die Bäckerin, der Arzt – sie verschwanden vor allem auch im ländlichen Raum und siedelten sich an Konsumzentren an. Die Autoabhängigkeit, die heute in vielen ländlichen Bereichen besteht, ist menschgemacht.
Sie war nicht schon immer da.
Was also tun? Kurzfristig könnte es vor allem helfen, städtische Lösungen, die dort fast schon im Überfluss angeboten werden, auch auf das Land zu tragen:
Leihräder, mit denen zum Bahnhof und zurück geradelt, E-Scooter, mit denen endlich ohne zu schwitzen und schnell die nächste größere Haltestelle erreichen werden kann. Coworking-Spaces, die dort entstehen, wo sich morgens viele ins Auto setzen, um an einen Schreibtisch ihrer Arbeitgeber:innen zu fahren. Die Möglichkeit zu schaffen, drei Mal die Woche „ums
Eck“ zu arbeiten. Bei den 40 Prozent Arbeitsplätzen, die ad hoc als mobil abbildbar gelten, wäre das ein echter Gewinn an Lebensqualität!
Weniger Wege wagen – die Nahversorgung wieder an die Menschen heranrücken.
Also dorthin, wo sie schon einmal war. Das Ideal der 15-Minuten-Stadt, die alles in Fußläufigkeit von 15 Minuten oder auch mit dem Rad oder Bus erreichbar macht, sollte auch für den suburbanen und ländlichen Raum gelten. Es sollte ernstgenommen werden, dass nicht alle
Auto fahren wollen, es mangels Alternativen aber müssen. Allein dafür, damit auch Erwachsene ohne Führerschein ihren Wohnort frei wählen können.
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