SPIEGEL: Frau Diehl, viele Menschen identifizieren sich mit dem Auto. Und jetzt fordern Sie eine »Autokorrektur« – also weniger Auto, »für eine lebenswerte Welt«. Erleben das viele nicht als persönlichen Angriff?
Diehl: Der Zwang zum Auto ist krass in uns verankert und wird dabei selten als Zwang empfunden, sondern als Lösung. Ich habe in den Interviews für mein Buch immer wieder die Frage gestellt: Willst du Auto fahren, oder musst du? Das ist sehr emotional, da haben wirklich Leute geweint. Sie sagten, dass sie durch mich zum ersten Mal in ihrem Leben diese Zwangsmobilität hinterfragen.
SPIEGEL: Was verstehen Sie darunter?
Diehl: Eine Frau, mit der ich sprach, fährt 80 Kilometer pro Tag nur für die Hobbys der Kinder. Das Auto wird immer vorausgesetzt. Aber was, wenn jemand einmal nicht mehr Auto fahren kann? Ich glaube, diese Emotionalität kommt aus einer Angst heraus, dass sich irgendwas an dem Leben ändern könnte, in dem man sich ums Auto eingerichtet hat. Das wird immer gleich als Angriff aufgefasst.
SPIEGEL: Viele sind aufs Auto angewiesen, um im Alltag mobil zu bleiben.
Diehl: Auf die bin ich bewusst zugegangen. Eine ältere Dame, die auf dem Land wohnt, erzählte, sie habe immer alles mit dem Rad erledigen können. Aber seit ihr Ehemann erkrankte, sitze sie im Auto und hasse es. Eine Frau in Armut hat mich auf etwas aufmerksam gemacht, das ich gar nicht so im Blick hatte: wie unberechenbar der Kostenfaktor Mobilität für sie ist, weil immer ungeplante Reparaturen oder Kosten entstehen. Und dann steht sie am Ende des Monats vor der Frage: Jetzt noch mal tanken, um die Kinder zur Schule zu bringen, oder gibt es gutes Essen?
SPIEGEL: Manche würden ohne Auto schlicht nicht zur Arbeit kommen – das Auto hilft beim Geldverdienen.
Diehl: Auf den ersten Blick scheint es so. Eine Krankenpflegerin meinte aber, nach 24 Stunden Dienst sei es natürlich Quatsch, noch Auto zu fahren. Ein Kollege von ihr fiel am Steuer in Sekundenschlaf und schob sechs Autos zusammen, Gott sei Dank ohne Personenschaden. Als Alleinerziehende hat sie aber keine Chance, anders unterwegs zu sein, weil sie in die Kita muss, die vor 6 Uhr öffnet, und eben nicht eine Viertelstunde zu spät im OP stehen kann.
SPIEGEL: Das klingt, als bedeute das Auto für alle mehr Last als Lust. Was ich in Ihrem Buch vermisse, sind Menschen, die wirklich gerne Auto fahren. Die gibt es doch auch.
Diehl: Für das Buch habe ich einen offenen Aufruf gemacht, von denen hat sich leider keiner gemeldet. In den sozialen Medien begegne ich ihnen auf jeden Fall. Auf Twitter gibt es einige, die das Lustprinzip in großen Autos ausdrücken. Ich habe auch einen Podcast mit dem Youtuber Car Maniac gemacht, der sagt, dass er das Auto einfach geil findet. Aber auch bei dem hat sich was getan: Der ist Papa geworden und macht jetzt auf vollelektrisch, also immer noch Auto aus Lustprinzip, aber dann wenigstens lokal emissionsfrei.
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