Endlich beschlossen – und nun? Was bedeuten die Novellen des Straßenverkehrsgesetzes, der StVO und das Urteil gegen Gehwegparken in Bremen?

Danke an alle, die mein Buch „Raus aus der AUTOkratie – rein in die Mobilität von morgen!“ vorbestellt haben. WIR haben es tatsächlich erneut geschafft: Top 10 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Mein Buch kam direkt auf Platz 8. DANKE! Wenn dir diese oder auch eine andere Folge gefällt, lass´ gern eine Bewertung da und/oder supporte mich per Ko-Fi oder PayPal. Meinen wöchentlichen Newsletter gibt es bei steady.

Natürlich musste ich nach den guten Neuigkeiten aus Berlin, dass endlich auf Basis der Novellierung des Straßengesetzes auch die Straßenverkehrsordnung ein Update erhält, mich nach Gesprächspartnerinnen umschauen, um dies direkt einordnen zu können. Meine Gästinnen: Swantje Michaelsen, für die Grünen im Bundesttag, auch auch „darüber hinaus eine starke Stimme für eine feministische Verkehrspolitik, die alle Menschen im Blick hat. Ich mache mich stark für eine Gesellschaft, die auf echte Gleichberechtigung setzt.“ Ihre Einordnung:

Im Straßenverkehrsgesetz (StVG) werden Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung als neue Hauptziele neben der Sicherheit und Leichtigkeit verankert, wobei die Sicherheit besonders priorisiert wird. Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses muss am Freitag noch durch Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Damit die Kommunen die neuen Spielräume des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) anwenden können, müssen sie in der Straßenverkehrsordnung (StVO) umgesetzt werden. Ein Entwurf für die StVO liegt bereits vor. Neben dem Abbau von Hürden für Fußwege, Radwege und Busspuren erhalten die Kommunen auch bei Tempo 30 und bei der Parkraumbewirtschaftung mehr Möglichkeiten.

Das Straßenverkehrsgesetz hat bisher grundlegende Reformen der nachgeordneten StVO verhindert. Denn bis vor wenigen Wochen standen allein die Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs im Zentrum des Straßenverkehrsrechts, d.h. der möglichst reibungslose Verkehrsfluss des Autos. Rad, Fußverkehr und der ÖPNV konnten hingegen von den Städten und Gemeinden nicht gezielt gefördert werden. Das war spürbar im Alltag der Menschen, z.B. an Radwegen, die im Nichts enden, Bussen, die im Stau stehen, oder den langen Umwegen zum nächsten Zebrastreifen.

Im Juni haben Bundestag und Bundesrat ein neues Straßenverkehrsgesetz beschlossen. Klima- und Umweltschutz, städtebauliche Entwicklung und Gesundheit wurden als neue, zusätzliche Hauptziele ins Gesetz aufgenommen. Das eröffnet größere Spielräume für die Gestaltung des Verkehrs vor Ort. Nun steht die zugehörige StVO-Novelle im Bundesrat auf der Tagesordnung. Bei der StVO-Novelle wird der neue Rechtsrahmen erstmals genutzt: Es wird nun deutlich leichter für Kommunen, Platz fürs Rad, den Bus oder Menschen zu Fuß zu schaffen. Auch bei Tempo 30 und der Parkraumbewirtschaftung gibt es mehr Möglichkeiten.

Ich sprach dazu mit Swantje Michaelsen: Das Straßenverkehrsgesetz öffnet mit den neuen Zielen Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebaulicher Entwicklung die Tür für mehr Entscheidungsspielräume vor Ort. Und mit der StVO werden die neuen Spielräume in erste Handlungsoptionen übersetzt. Zebrastreifen, Radspuren und Busspuren können zukünftig ohne Nachweis der qualifizierten Gefahrenlage angeordnet werden. Und auch bei Tempo 30 gibt es mehr Möglichkeiten.

Ein weiterer von uns beleuchteter Aspekt wurde auch schon von der Deutschen Umwelthilfe durchleuchtet:

Zahlreiche der 104 befragten Städte dulden die systematische Behinderung und Gefährdung von
Fußgängerinnen und Fußgängern durch illegales Parken auf Gehwegen. Nur 26 der 104 von der DUH
abgefragten Städte bestätigen, dass sie Falschparken auf Gehwegen konsequent mit einem Bußgeld
ahnden. Die systematische Duldung und die systematische Nicht-Ahndung von Falschparkenden auf
Gehwegen sind nach Rechtsauffassung der DUH jedoch rechtswidrig. Falschparkende auf Gehwegen
verdecken die Sicht und zwingen Menschen zum Ausweichen auf die Straße. Dadurch entstehen
lebensgefährliche Situationen.
Laut offiziellen Regelwerken muss ein Gehweg mindestens 2,20 Meter breit sein, darunter ist ein
unbehinderter Begegnungsverkehr nicht möglich. Diese Vorgabe ignorieren die meisten Städte jedoch.
Menschen mit Rollstuhl oder Kleinkinder auf dem Rad sind dann gezwungen, auf die Straße auszuweichen.
Manche Städte schleppen die Falschparkenden sogar erst dann ab, wenn Restgehwegbreiten von 1 Meter,
90 oder gar 80 Zentimetern unterschritten werden. Selbst bei der Anordnung von legalem Gehwegparken
halten viele Städte die vorgegebene Mindestgehwegbreite von 2,20 Meter nicht ein.

Cerstin Kratzsch ist Anwohnerin und Klägerin in Sachen Gehwegparken in Bremen, deren Klage es bis zum Bundesverwaltungsgericht geschafft hat. Und wo jetzt der Urteilsspruch vorliegt, zur Zeit unserer Aufnahme jedoch noch nicht vollumfänglich schriftlich. Sandra Conrad-Juhls ist eine der Hauptamtlichen vom VCD Bremen, die z. a. auch die Klage aktiv begleitet haten. Sie gehen auf diesen Aspekt nach Swantje mit ihrem Bericht aus der Bundespolitik ein. Denn: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Anwohner*innen können von Behörden verlangen, gegen illegal auf dem Gehweg geparkte Autos vorzugehen – bei erheblichen Beeinträchtigungen. Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass Straßenverkehrsbehörden auf Verlangen der Anwohner gegen illegales Gehwegparken einschreiten müssen, sofern die Benutzung des Gehwegs erheblich beeinträchtigt wird.

5 Antworten zu „Endlich beschlossen – und nun? Was bedeuten die Novellen des Straßenverkehrsgesetzes, der StVO und das Urteil gegen Gehwegparken in Bremen?“

  1. Zum Urteil gegen Gehwegparken in Bremen:
    „… dass Straßenverkehrsbehörden auf Verlangen der Anwohner gegen illegales Gehwegparken einschreiten müssen, sofern die Benutzung des Gehwegs erheblich beeinträchtigt wird.“

    1. Was erheblich ist bleibt Auslegungssache und schafft erheblichen Spielraum nichts tun zu müssen.
    2. Warum muss die Beeinträchtigung überhaupt erst erheblich sein? Bei Geríngfügigkeit ist ein Bußgeld angebracht, ansonsten ist umzusetzen oder abzuschleppen. Das passiert nicht und auch das seichte Urteil wird daran nichts ändern, es bleibt am Unwillen der Ämter hängen.


  2. Avatar von Spürnase
    Spürnase

    Manche deutsche Großstädte schleppen PKWs einfach gar nicht ab, egal wie brutalgeparkt die hingestellt wurden. Nicht wenn 0 (Null) Zentimeter Gehwegrestbreite verbleiben, nicht wenn die Feuerwehrzufahrt zugeparkt wird.

    Als Ausrede schieben sich Kommunale Verkehrsüberwachung (die das Abschleppen nicht veranlassen darf) und Polizei (die sich nicht für den „ruhenden Verkehr“ zuständig fühlt) den schwarzen Peter gegenseitig zu. Eigentlicher Grund ist: „Hitler hat es nunmal so gewollt“. Im Straßenverkehr blüht der (Auto-)Faschismus ganz offiziell – und nicht nur in D.


  3. Lieber Thorsten, liebe Spürnase,

    bisher habt ihr nicht Unrecht mit euren Vermutungen. Die Flüssigkeit des Fußverkehrs, die Barrierefreiheit, die Gefahrenabwehr und die Sicherstellung von z. B. freigehaltenen Hauseingängen für Dienstleistungen kann bisher nicht zufriedenstellend gewährleistet werden und wird auch nicht rechtlich durchgesetzt.

    Zu euren Kommentaren zitiere ich aus einem Papier von Michael Glotz-Richter, ehemals strategische Verkehrsplanung und nachhaltige Mobilitätsprojekte bei SKUMS/SBMS:

    „Der „Vierpunkteplan“ – Ankündigungen für 38 Quartiere – Umsetzung in 11 Straßen

    Es wurde am 24. November 2022 in der zuständigen Fachdeputation rechtzeitig vor dem Gerichtstermin beim OVG (Termin) ein „Vierpunkteplan“ beschlossen (VL 20/7508), auf den in der Gerichtsverhandlung seitens der Stadt vielfach Bezug genommen wurde (s.a. Pressezitate), um Lösungsansätze aufzuzeigen. Jedoch hat dieser Vierpunkteplan bislang nur homöopathische Konsequenzen gezeigt. Die Stadt hat so gut wie keinen Ansatz, um dem geltenden Recht in den Straßen wieder umfassend zur Geltung zu verhelfen und damit die bestehenden vielfältigen Probleme zu lösen.

    Dabei war in der Beschlussvorlage die Problemlage eindeutig beschrieben worden: „Die kontinuierliche Zunahme des Pkw-Bestandes sowie die größeren Fahrzeugabmessungen haben in vielen Wohnquartieren zu einer i.d.R. nicht StVO konformen Parkraumsituation im öffentlichen Straßenraum geführt, die in Hinblick auf eine Befahrbarkeit durch Rettungs- und Müllfahrzeuge, die Verkehrssicherheit und Barrierefreiheit nicht mehr hinnehmbar ist. Das in vielen Quartieren praktizierte rechtswidrige Parken auf Gehwegen hat sich nunmehr zu einem Problem entwickelt, das für alle nicht mehr tragbar ist.“

    Doch auch nach anderthalb Jahren ist noch keine der besonders kritischen Straßen, geschweige denn eine quartiersbezogene Umsetzung angegangen worden. Dabei war der Anspruch: „Die Maßnahmen zum Ordnen des Parkens sollen im Rahmen eines 4 Punkte-Plans stadtweit erfolgen. Kern des Konzepts ist weiterhin die quartiersbezogene Umsetzung von Maßnahmen, wie sie im Rahmen des Konzepts „Parken in Quartieren“ vorgesehen ist. Der Beginn des Maßnahmenfeldes 1 (Öffentlichkeitsarbeit) war mit dem vierten Quartal 2022 angekündigt und wurde über einige wenige Straßen hinaus nicht umgesetzt.

    Die im November 2022 angekündigte „Kurzfristige Durchsetzung des regelkonformen Parkens in einzelnen Straßen mit besonderem Handlungsbedarf“ (Maßnahmenfeld2) ist im derzeitigen zweiten Quartal 2024 auf Ankündigung zu einigen wenigen Straßen geschrumpft. Es wurden eine (im Prozess) schrumpfende Zahl von Straßen benannt, um hier die (überall erforderliche) Rettungssicherheit zu erreichen. Aktuell ist das Vorhaben in den wenigen Straßen -auch mit Einsatz der Verkehrsüberwachung – umgesetzt, rund anderthalb Jahre nach dem Beschluss des Vierpunkteplans.

    Die Maßnahmenfelder 3 (Quartiersbezogenes Vorgehen gegen Gehwegparken, eingebettet in das Konzept „Parken in Quartieren“) und 4 (Überprüfung und Bestätigung bzw. Rücknahme der Bestandsanordnungen zum Gehwegparken (Verkehrszeichen 315) sind ebenfalls zwischenzeitlich nicht ungesetzt worden. Es liegen in keinem der betroffenen Stadteilbeiräte Vorlagen zur weiteren Abstimmung vor.

    Die im Herbst 2022 angekündigten Quartierskonzept sind derzeit zugunsten eines selektiven Angangs einiger weniger besonders schmaler Straßen zu den Akten gelegt worden.

    Eigentlich sollten mindestens 1-2 Quartiere pro Jahr mit einem integrierten Konzept angegangen werden, wo auch Quartiersgaragen, Stellplätze für e-Scooter, Lieferzonen, e-Ladesäulen, Fahrradbügel und andere Aspekte wie Klimaanpassung und Begrünungen betrachtet werden sollten. Es sollten Konzepte für 38 Quartiere / Bewohnerparkzonen erstellt werden mit rund 250 Straßenabschnitten. Bei dem nun vorgelegten Tempo und der Zaghaftigkeit von Behörden und Politik wird sich ein mögliche Umsetzung für die vom illegalen und behindernden Gehwegparken betroffenen Bremer Straßen über etliche Jahrzehnte hinziehen.“


  4. Avatar von Florian Helling
    Florian Helling

    Vielen lieben Dank für diesen Podcast! Es war eine Freude, dieser Runde aus klugen, kompetenten Frauen zuzuhören. Macht weiter so!


    1. Oh wow – danke für dein Feedback Florian!!!


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Dir gefällt, was ich tue?

Unterstütze mich gern! Du und ich: Wir sind ein Kollektiv!

Detailbeschreibung ausklappen

Ich freue mich sehr, wenn meine Arbeit dir Mehrwert bietet und du mich dabei unterstützen möchtest!

Um meine Projekte langfristig fortsetzen zu können, möchte ich mir ein Grundeinkommen sichern. Seit einiger Zeit habe ich ein unterstützendes Team um mich aufgebaut: Jemand kümmert sich um meine E-Mails, eine andere Person übernimmt meinen Instagram-Account, und ein weiterer Mensch mixt meinen Podcast ab. Auch mein Steuerberater und meine Rechnungsfee gehören dazu. Dieses Outsourcing entlastet mich enorm, bringt aber natürlich auch Kosten mit sich. Deshalb möchte ich im ersten Schritt diese Kosten decken und freue mich über jede Unterstützung.

Exklusive Inhalte und virtuelle Treffen

1 × wöchentlich schaue ich in den Rückspiegel: Wo stehen wir in der Mobilitätswende? Und gebe Abonnent:innen exklusive Inhalte.

Detailbeschreibung ausklappen

Für nur fünf Euro pro Monat erhältst du meinen wöchentlichen Steady-Newsletter. Es gibt auch weitere Pakete, die Gastzugänge oder größere Pakete für Unternehmen beinhalten, die bis zu 20 Zugänge für Mitarbeiter:innen oder Kolleg:innen bieten. Bei den größeren Paketen ist ein virtuelle