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Buchempfehlung für #Autokorrektur von der Bank für Sozialwirtschaft

Können Steuersenkungen auf Kraftstoffe eine Verkehrswende einleiten? Katja Diehl bezweifelt das. Für die Mobilitätsexpertin braucht es ein grundlegend neues Konzept, bei dem Mobilität nicht mehr vom Auto, sondern von den Menschen und deren Bedürfnissen her definiert wird. Für die Podcasterin („She drives Mobility“) ist das Auto fester Bestandteil im Leben vieler Menschen – nur wird genau das aus Sicht der Aktivistin auf Dauer zu einem riesigen Problem. In Autokorrektur beschreibt Katja Diehl, wie der Mobilitätswandel hin zu lebenswerten Städten und Dörfern gehen könnte. Sie hat unserer Autorin Maicke Mackerodt per Skype erklärt, wie es gehen könnte, Menschen und nicht das Auto in den Mittelpunkt zu stellen.

Fahrten zur Arbeit, zur Schule oder in der Freizeit: Das Auto ist aus dem Leben eines Großteils der Bevölkerung einfach nicht wegzudenken. In den Städten wie auf dem Land diktiert nach wie vor primär das Auto das mobile Geschehen. Jede andere Form der Fortbewegung – etwa zu Fuß oder mit dem Fahrrad – hat sich unterzuordnen.Für Katja Diehl sind Autos sogar längst zu einer Art Stadtmobiliar geworden, das immer mehr Straßen und Parkplätze in Anspruch nimmt. Vor allem in der Stadt werde alles dem Autoverkehr untergeordnet. Für eine lebenswerte Welt fordert die Autorin, die selbst zwar einen Führerschein, aber kein Auto besitzt, dass diese Privilegien wegfallen. Fahrräder oder Fußgänger sollten für die Autorin die gleichen Rechte wie Autofahrer haben.

Zwangsmobilität wird nie hinterfragt

Katja Diehl hat 60 Menschen mit und ohne Auto gefragt, was für sie eine lebendige Stadt ist – und, ob sie Auto fahren wollen oder müssen. Was folgte, sei erst einmal Stille gewesen, denn die meisten hätten ihre Zwangsmobilität, wie sie es nennt, nie hinterfragt. Viele Antworten seien sehr emotional gewesen, erzählt die Mobilitätsexpertin. Es habe sie sehr berührt hat, „dass eine Frau, die in Armut lebt, mit ihren vier Kindern und ihrem Mann am Ende eines jeden Monats entscheiden muss: Tanke ich noch mal oder kaufe ich gutes Essen für die Kinder?“, erinnert sich Katja Diehl im Skype-Interview mit unserer Autorin. „Weil sie keine Alternativen hatte, fiel letztendlich ihre Entscheidung meist fürs Tanken, damit die Kinder zur Schule kommen.“ Sie sagte, dass sie sich als Mensch in Armut immer als Ausrede benutzt fühlt, dass sich nichts verändert.

13 Millionen Erwachsene haben keinen Führerschein

Vor allem in ländlichen Regionen, mit weiten Wegen zum Einkauf, zur Arbeit, zur medizinischen Versorgung würden viele lieber einmal im Monat das ÖPNV-Ticket bezahlen und so den Faktor Mobilität aus ihrer Haushaltsplanung streichen. Stattdessen heißt es, unberechenbare Kosten stets im Blick zu haben, wie Autoreparaturen oder steigende Benzinpreise.“ Viele haben Katja Diehl zudem signalisiert, dass sie gezwungenermaßen Auto fahren und sich Alternativen wünschen. Hinzu kommen 13 Millionen Erwachsene in Deutschland, die gar keinen Führerschein haben. Nicht eingerechnet die 14 Millionen Kinder und Jugendliche, die noch kein Auto fahren dürfen. „Sie alle würden umsteigen, meist fährt aber weder Bahn noch Bus zu den Orten, wo sie täglich hinmüssen.“

Was ist, wenn man eines Tages nicht mehr Auto fahren kann?

Wer arm ist oder gar keinen Führerschein besitzt, ist für Katja Diehl von bestehenden Mobilitätssystemen ausgeschlossen – und damit auch von sozialer Teilhabe. Die einen können sich ganz bequem ins Auto setzen, um ins Theater, in den Fitnessclub oder zu Freunden zu fahren, ohne über Treibstoffkosten oder anstehende Reparaturen nachdenken zu müssen. Am schwierigsten ist für die Autorin, dass dieses beinahe automatisiertes Verhalten schwer zu ändern ist. Spreche man Menschen darauf an, sagt Katja Diehl, werde das schnell als Angriff aufgefasst und sie als Autohasserin angefeindet. Kaum jemand fragt sich, was ist, wenn man eines Tages nicht mehr Auto fahren kann? Für die Autorin ist diese Emotionalität eine Folge von Angst, dass sich irgendwas an dem bisherigen Leben ändern könnte, in dem man sich rund ums Auto eingerichtet hat. Autofahren müsse ihrer Meinung nach unbequemer und teurer gemacht werden.

Sobald wir ins Auto steigen, benehmen wir uns unmenschlich

Katja Diehl sitzt im Bundesvorstand des alternativen Verkehrsclub Deutschland (VCD), der die „Vision Zero“ verfolgt. Gemeint ist: Keine Menschen sollen mehr im Straßenverkehr umkommen. „Sobald wir ins Auto steigen, benehmen wir uns zudem unmenschlich“, so die Aktivistin. „Wir bedrohen andere Menschen, wir töten andere Menschen. Alle, die nicht im Auto unterwegs sind, in der Stadt zum Beispiel, sind angehalten, sich diesem Auto zu nähern im Sinne von ‚Verletze mich nicht‘. Ich muss auf mich aufpassen, nicht der Mensch im Auto“, sagt die Mobilitätsexpertin, die sich seit Jahren vor allem auf Twitter offensiv für eine radikale Verkehrswende einsetzt.

Das Konzept der 15-Minuten-Stadt

Wie also die Städte menschenfreundlicher und weniger autofreundlich machen? Die erste Regel der Verkehrswende wäre für Katja Diehl: reflektieren, ob ich diesen Weg wirklich antreten muss oder ob es auch per Videokonferenz geht. Zweitens: Wenn man entschieden hat, sich auf den Weg zu machen, warum nicht vom Flugzeug auf die Bahn oder anderes Verkehrsmittel umsteigen? Sei es Car-Sharing, Ruf-Busse oder den E-Scooter mit in die Bahn nehmen. Erst an dritter Stelle kommen ihrer Meinung neue Technologien, wie Elektro-Autos oder Flugtaxis. Die Autorin orientiert sich in „Autokorrektur“ eher am Konzept der 15-Minuten-Stadt, in der alle Grundbedürfnisse des Alltags, wie Schule, Arbeitsplatz oder Lebensmittelgeschäfte in 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad von der Wohnung aus zu erreichen sind. In der französischen Hauptstadt Paris arbeitet man bereits daran, dies Konzept umzusetzen.

Warum wollen viele in der Stadt vor der eigenen Haustür parken?

Das größte Problem der Mobilitätswende ist für Katja Diehl, dass wir daran gewöhnt sind, dass Autos Privilegien erhalten. „Die sind mittlerweile so selbstverständlich, dass sie wie ein Recht gedeutet werden“. Warum ist das so, dass die Menschen vor allem in der Stadt unbedingt vor der eigenen Haustür parken wollen, fragt sich die in Hamburg lebende Aktivistin oft ratlos. „Warum suchen Menschen oft ewig lang einen Parkplatz und haben den viel kürzeren Weg zur Haltestelle oftmals gar nicht auf dem Schirm?“ Zu den entscheidenden Fragen gehört für die Autorin: „Wie viel Zeit, wie viel Geld opfere ich mit meiner Automobilität im Sinne anderer Freiheiten? Begrenze ich Menschen in ihrer Freiheit, weil ich Automobil unterwegs bin, indem ich ihnen Platz nehme, in denen ich ihnen Ruhe nehme oder gesunde Luft?“

Mobilitätslücken auf dem Land schließen

Eine ihrer elementaren Forderungen ist, den Stadtraum zurückzuerobern, der zuvor kostenlos oder viel zu billig an geparktes Blech vergeben wurde. Es geht Katja Diehl nicht darum, völlig auf Autos zu verzichten, sondern die individuellen Fahrten mit dem eigenen PKW zu reduzieren. Zur Verkehrswende gehört für die Autorin auch, Mobilitätslücken auf dem Land zu schließen und stillgelegte Bus- und Bahnstrecken zu reaktiveren. Praxisnah fordert die Aktivistin ein Grundrecht auf selbstbestimmte Mobilität. „Ich wohne in Hamburg-Eimsbüttel, da gibt es alles von der U-Bahn über Taxi on demand bis zu Leihrädern, sogar Lastenräder zum Leihen. Trotzdem stehen die parkenden Autos teilweise auf dem Gehweg in dritter Reihe.“

Für Katja Diehl ist das Leben mit Auto eine tief sitzende Riesenroutine geworden. Und solange Autofahren so bequem und so subventioniert auch im Sinne von Förderung bleibt, werde sich daran nichts verändern. „Autofahren ist effiziente Zwangsmobilität, die aber so nicht reflektiert wird.“ Ihrer Meinung nach bringen wir uns selber willig in diese Situation, weil wir davon ausgehen, nur mit einem Auto lässt sich ein gutes Leben führen. Die meisten denken nicht drüber nach: Was heißt das, wenn ich krank werde oder meinen Job verliere und das Auto nicht mehr bezahlen kann? „Das ist eine Art Tabu, wo wir gar nicht ran wollen.“

Mobilitätswende geht nur gemeinsam

Katja Diehl berät Unternehmen und die Politik. Sie würde es befürworten, wenn neben dem 9-Euro-Ticket beispielweise die Deutsche Bahn und die deutschen Fluglinien wie in Österreich miteinander kooperieren und in Internet-Suchmaschinen zuerst Zugverbindungen angezeigt werden. „Das muss Grenzen übergreifend funktionieren, in Europa muss ein Nachtzugnetz entstehen, damit wirklich keiner mehr eine Ausrede hat zu fliegen.“ Aber ohne gerechte Bepreisung der Flüge wird es ihrer Meinung nach wieder nicht funktionieren. „Ich wurde letztens auf einem Panel gefragt: Frau Diehl, was ist der größte Hebel, den wir für CO2-Reduzierung in der Hand halten? Ich habe gesagt, Führungskräfte. An den richtigen Stellen Menschen zu haben, die das 1,5 Grad Ziel von Paris ernstnehmen. Für eine Mobilitätswende braucht es enge Zusammenarbeit und die Erkenntnis, dass wir gemeinsam in Europa als Land entscheiden müssen, wenn wir etwas verändern wollen.“

Fazit: Autokorrektur heißt, Mobilität neu zu denken

Katja Diehl hinterfragt lesenswert und sehr radikal die Liebe zum Auto. Ihre Vision nennt die Podcasterin Autokorrektur – und diese Autokorrektur beginnt für die Expertin definitiv in der Stadt. Ihr Ziel klingt angesichts von Energie- und Klimakrise sehr ambitioniert: eine kinderfreundliche, klimafreundliche, barrierearme und entschleunigte Stadt. Dazu gehört für sie, Gleichberechtigung anzustreben, Parkplätze und Straßen auch für Radfahrer und Fußgänger zu öffnen, die Ampelschaltung anzupassen, das Tempo des Autoverkehrs zu drosseln usw… Wer die hitzig-kontroversen Tempo-30-Diskussionen verfolgt, ahnt, das kann dauern. Für Katja Diehl ist der größte Schritt in der Verkehrswende denn auch gesellschaftliche Überzeugungsarbeit und nicht die Produktion neuer Techniken wie mit Wasserstoff betriebene Autos.

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