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Können Rücktritte „typisch weiblich“ sein?

Ich stehe kaum im Verdacht, die Zeitung mit den großen Buchstaben zu lesen. Aber ich habe ein Netzwerk, das die Themen kennt, mit denen ich mich beschäftige – und das mir dann Dinge per Screenshot zuspielt. Und mich fragt, was ich über eine solche Überschrift denke. Ich war nicht sonderlich überrascht, in dieser Zeitung Klischees zu finden, die aus einer anderen Welt als der meinen stammen. Ich bin ein wenig geknickt, dass der Kommentar von einer AutorIN stammt, denn ja: Es hätte weniger genervt, diese „typisch weiblich“ Klischees nicht von einer Dame lesen zu müssen. Falsch sind sie allemal. Und wir Frauen immer noch schlecht in Sachen Solidarität bzw. Faktenorientierung. 

Denn: Wenn eine scheitert, ist der Fokus nicht auf uns, die wir vielleicht auch irgendwo arbeiten, wo Frau sein „die Einzige ihrer Art“ bedeutet. Auf Frauen, und das wird sich hoffentlich schnell erledigen, liegt immer ein ganz besonderer Erwartungsdruck. Sie müssen sich nicht nur in mancher Männerdomäne beweisen, sondern auch gleich für alle anderen Frauen stehen, die ihnen nachfolgen könnten. Wir Ladies wollen Gleichberechtigung, halten Unbequeme(s) aber nicht gut aus und sabotieren uns noch zu oft gegenseitig. Wie im Reflex.

Der Artikel ist wie viele Details der Debatten um Mann/Frau/Divers im beruflichen Kontext: er liest sich – abseits von der unsäglichen Überschrift –  oberflächlich zunächst reflektiert und ausgewogen – und ist damit vor allem eines: Schleichendes Gift und Demontage. Dieses Stück schildert Frau Nahles als eine ehemalige „Durchbeißerin“, die vielleicht mit über 50 nun einfach keine Lust mehr hat, zu kämpfen. Aber ist es dann „typisch weiblich“ – oder schlicht ihr eigener Wille jenseits ihres Geschlechts? Ich unterstelle Männern UND Frauen in ihrem Alter, dass sie ihre beruflichen Entscheidungen als Mensch treffen, der sie sind. Nicht von ihrer Identität als Frau oder Mann getrieben.

Denn der Artikel stresst auch männliche Klischees. Von denen ich uns alle befreit wissen möchte. Im beruflichen Kontext würde es uns zunächst belasten, uns von Klischees zu befreien, denn Klischees sind immer eine Vereinfachung, die das Denken schont. Und dazu ist unser Gehirn erzogen: Möglichst wenig Energie aufwenden für all die Dinge, die uns sekündlich begegnen. Schublade auf, Mensch rein, Schublade zu – nächste Entscheidung.

Es täte uns gut, statt mit dem Finger erleichtert auf andere zu zeigen – und auf Frau Nahles zeigten in den letzten Wochen sehr viele Finger, mal berechtigt, oft aber auch im Ton einfach nur hämisch, – es täte uns gut, mal eine Pause zu machen. Sich von eigener Häme nicht leiten zu lassen. Das Urteil über berufliche Kompetenz nicht nur von Sympathie oder Antipathie leiten zu lassen. Sondern von echter Reflektion, wie wir miteinander umgehen wollen. Da helfen Klischees auf Dauer nicht weiter. Weil Jede von uns einzigartig ist. Und weil wir uns dieser Diversität aussetzen müssen. Denn diese liegt sehr individuell verankert in uns allen. Und wir sollten sie leben dürfen. Auch und gerade im Job, in dem wir so viel Zeit verbringen.

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