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Corona und Verkehrswende – was verbindet sie?

Corona schafft, was alle Bemühungen bisher nicht möglich machten: Der Virus „tat“mehr für die Reduzierung der CO2-Emissionen (in Wochen!) als alle Klimaverträge (in Jahrzehnten!). Klimakatastrophe und ihre Folgen – das alles ist für uns in Europa und Deutschland bisher nicht greifbar genug gewesen, um unser Verhalten nachhaltig zu beeinflussen. Der Virus zwingt uns, unmittelbar auf unsere Verantwortung für andere, sogar uns völlig unbekannte Menschen zu schauen, die zwar unsere Nachbar:innen sind, die wir zuvor aber ignorierten. Der Spruch „alles ist miteinander verbunden“ stimmt auf einmal, und ist nicht mehr einfach nur eine Weisheit an der Wand unseres Yogastudios. Corona lässt uns persönliche Opfer bringen, die der Gemeinschaft zugute zu kommen. Und damit Menschen, die uns zuvor egal waren. Schon vor anderthalb Jahren entwarf ich den Hashtag #MoreEcoLessEco, der jetzt wenn auch nicht aktiv, so doch passiv gelebt wird.

Soll man in Zeiten von Corona noch Verkehrswende vorantreiben?

Meine Antwort: Unbedingt. Denn das aktuelle Verkehrssystem tötet von Beginn an täglich. Aktuell neun Menschen am Tag. Nur ist dieser Tod für uns nicht sichtbar. Zum einen, weil er Menschen trifft, die wir nicht kennen, zum anderen, weil er für Medien nicht so gut darstellbar ist, wie es die zum Teil sehr bedrückenden Bilder aus Italien und China sind. Ich will betonen: Aktuell macht es Sinn und ist auch nicht zu verhandeln, dass Corona DAS Thema ist, an dem wir alle mitarbeiten, dass es möglichst wenig Einfluss auf das Leben vor allem der Schwächsten unter uns hat. Dennoch: Wir dürfen die Klimakrise nicht aus den Augen verlieren! Fast unter dem Radar hat das Umweltbundesamt gerade Zahlen veröffentlicht, die überall Hoffnung machen, weil die Emissionen endlich sinken. Nur ein Sektor hat diese sogar noch gesteigert: Der Verkehrssektor. Durch immer mehr PKW in immer größerer Bauweise. Das darf nicht sein! Schon jetzt fährt ein Auto nur 45 Minuten am Tag für 1,2 Personen. Woher kommt dann dieser „Bedarf“, noch mehr Autos haben zu wollen? Wer übernimmt die Lobby von 14 Millionen Haushalten (also etwa 28 Millionen Menschen), die kein Auto haben wollen, keines fahren oder es sich schlichtweg nicht mehr leisten können?

Corona zeigt die Schwäche und den schlechten Ruf des ÖPNV

Obwohl es genauso „gefährlich“ ist, im Supermarkt einzukaufen, wie mit der Straßenbahn zu fahren, meiden viele gerade ad hoc den Nahverkehr. Das ist im Vergleich nachvollziehbar, weil wahrscheinlich die Versorgung mit Lebensmitteln existentieller erscheint, als die Wege nachhaltig zurückzulegen. Es zeigt aber auch, dass der Nahverkehr es trotz aller Diskussionen um kostenlose Fahrten, Digitalisierung und neue Angebote nicht geschafft hat, viele von sich grundsätzlich zu überzeugen. Bus und Bahn fahren ist verzichtbarer als im Supermarkt Hamsterkäufe zu tätigen, wo wir sehr dicht mit anderen zusammen um einzelne Produkte „kämpfen“. Das liegt sicher auch daran, dass die Veränderungen noch in einzelnen Angebotssilos parallel zueinander stattfinden und daher keine große, sondern sehr viele fragmentierte einzelne Lösungen bieten. Wie können wir das abwenden? Und was können wir tun, damit auch jene ohne Auto und jene, die kein Auto fahren können (und das sind viele – von Mobilitätseingeschränkten, Blinden bis hin zu 14 Millionen Menschen ohne Führerschein) mobil bleiben und ihre Grundbedürfnisse organisieren können?

Was können wir von Corona lernen?

Auch ich gehörte zu jenen, die sich noch vor drei Wochen über Jene belustigte, die Hamsterkäufe tätigten und Klopapier zum Gold der Neuzeit erklärten. Vielleicht – so ist grad mein Gedanke – ist Corona da so etwas gewesen, was für andere die Klimakrise ist. Denn diese nehme ich schon sehr lange als Damoklesschwert wahr und versuche, gegen sie alles in meiner Macht Stehende zu tun. Nicht, weil ich unmittelbar bedroht bin, sondern – um den Gedanken von oben aufzunehmen – weil wir alle und alles miteinander verbunden ist. ICH werde voraussichtlich nicht an den Folgen der Klimakrise unmittelbar sterben, maximal werde ich durch die jahrzehntelang eingeatmeten Autoabgase Krankheiten erleiden. Aber ich fühle Verantwortung für kommende Generationen, Jene, die schon jetzt vor dem Klimawandel auf der Flucht sind und jenen Lebensformen, die wir durch unseren exzessiven Konsum ausrotten (werden).

Meine zuvor gelebte „Blindheit“ gegenüber Corona ist also – Asche auf mein Haupt – gar nicht so unähnlich jener Klimablindheit, der ich manchmal fassungslos gegenüberstehe. Vielleicht hilft Corona uns, diesen Tunnelblick ganzheitlicher zu überwinden und die gefühlte Verantwortung in den Alltag zu retten.

Das Leben verlangsamt sich bei vielen gerade, die Wissenarbeiter:innen sind und an dieser Transformation des Denkens gestaltend teilhaben können. Wir tauschen Informationen sehr transparent aus. Geben Wissensvorsprünge weiter. Handeln emphatisch über Grenzen hinweg, weil wir verstehen (mussten), dass nur Solidarität und gemeinschaftliches Handeln Wirkung bringt.

Das Schöne: Wir haben die Wahl, das Beste aus dieser Zeit mitzunehmen

Die Coronavirus-Situation bietet uns allen die Möglichkeit, innezuhalten, Abstand von der Hektik zu nehmen und zu reflektieren. Manche auf Twitter beschreiben zum Beispiel gerade, wie intensiv ihnen der Frühlingsanfang vorkommt – und fragen sich, ob das vielleicht immer so war, sie es aber nicht bemerken konnten, weil sie damit beschäftigt waren, beschäftigt zu sein. Corona löst in meiner Wahrnehmung gerade sehr viel „entweder – oder“ aus. So auch die Reaktion auf die Herausforderungen im Umgang mit Limitation. Manche scheinen zu erstarren, ob aus Angst oder Hilflosigkeit, diese Gefühle bahnen sich ihren Weg in Schlachten um Klopapier und rücksichtsloses Stehlen von Desinfektionsmitteln. Andere reagieren emphatisch, wenden sich Schwächeren zu, fragen aktiv um Hilfe in einer Nachbarschaft, die sie vorher nicht interessiert hat.

Wir haben die Wahl, ob wir egoistisch oder – wie zuvor besprochen – aus dem Bewusstsein unseres menschlichen und globalen Gesellschaftssystens heraus handeln, das – wie in der Klimakrise auch – keine physischen Grenzen kennt. Das ist uns plötzlich bewusst, weil wir aus unseren Routinen und Alltagen gerissen wurden. Am besten stemmen wir Herausforderungen immer noch gemeinsam – und gemeinsam handeln füllt Leere, die uns sonst unangenehm hilflos fühlen lässt. Auf der einen Seite also eine Art Überforderung, vielleicht auch Unwissenheit und Isolierung, die Angst und Aggression verstärkt oder erzeugt. Auf der anderen Seite die Begegnung und Verantwortung den unbekannten Menschen gegenüber, die in derselben Situation sind wie wir. Das „physische notwendig, weil Lebens rettende Distanzieren“ überwindend. Wir alle werden Umarmungen vermissen, aber wir machen diesen Mangel kleiner, wenn wir füreinander da sind und uns Zeit füreinander nehmen, manchmal auch nur virtuell oder am Telefon.

Und leider führt dies in Deutschland sehr viele wieder zurück in das Auto.

Denn das ist uns ungemein vertraut, hier nehmen wir den Schutzraum des Wohnzimmers mit auf unsere Wege und grenzen uns von anderen mit unserer eigenen Schutzzone ab. Ich bezweifle, dass der Kampf um Klopapier ungefährlicher ist als die Fahrt mit der kaum mehr gefüllten Ubahn. Dennoch scheint hier wieder alles auf Null zu gehen, was die Vorurteile gegenüber dem Nahverkehr und die subjektiven Vorteile des Autos angeht. Doch was ist mit Jenen, die kein Auto besitzen und diesen Rückzugsort nicht haben? Hier rächt es sich deutlich, dass wir in Sachen alternative Angebote noch so wenig weit gekommen sind. Dass wir keinen Mut haben, Alternativen aufzubauen, die zunächst kostenintensiv sind. Das Auto kostet jeden Menschen in Deutschland 80 Cent pro Kilometer, egal, ob wir einen PKW besitzen oder nicht: Für die Folgekosten zahlen wir gemeinschaftlich alle. Das wird als selbstverständlich hingenommen. Sollte das noch so bleiben? Oder sollte sich diese solidarische Zahlung nicht auf den Ausbau urbaner Radwege beziehen? Auf Ridepooling auf dem Land zur Sicherung einer Grundversorgung – nicht nur im Krisenfall?

Wie machen wir Mobilität barrierefrei, also auch für Jene zeitnah verfügbar, die sich nur eingeschränkt bewegen können?
Was mich zur nächsten Frage bringt: Dürfen wir die Gestaltung von Mobilität börsengetriebenen Konzernen überlassen?
Im funktionierenden Alltag sind wir dazu geneigt, unsere Mobilität jenseits des Autos möglichst „convenient“ abzubilden. So geschehen in den USA mit Uber, einer billigen Taxiplattform, die keine Fahrer:innen anstellt, aber Fahrten vermittelt. Durch dieses kostengünstige Angebot wurden in den USA öffentliche Verkehre kannibalisiert und zusätzliche Verkehrsstaus durch mehr PKW auf den Straßen erzeugt. Auf den Schultern von Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Was zunächst wie eine Lösung schien, ist mittlerweile in einigen Städten und Metropolen verboten worden, weil es mehr Probleme schuf als Lösung zu sein.

Da gibt es zwei Pole: Die öffentliche Hand oder auch gesetzliche Regulierung oder die unsichtbare Hand des fast schon ominös beschworenen „Marktes“. Wir versteckten uns zuvor hinter „technischen Lösungen“, die unsere Mobilität verbessern sollen. Aber geht das ohne aktive, regulierende Gestaltung? Corona zeigt auf, dass es ohne eine Grundversorgung auch in der Mobilität nie gehen wird. Daher müssen wir diese verbessern und auf eine breitere Basis stellen. Das privat besessene Auto hat in der Stadt keine Zukunft, wenn wir die Klimaziele von Paris ernst nehmen wollen.

Was wir brauchen? Einen Raum, eine Entschleunigung, die den Menschen hilft, zum Wohle des Ganzen zu handeln, und der es ihnen ermöglicht, vom Ego zum Öko zu gelangen.

Diese neue kollektive Fähigkeit wird in den kommenden Jahren entscheidend sein, um viele andere Krisenbereiche anzugehen, vom Klimaschutz über die biologische Vielfalt und Flüchtlingsfragen bis hin zur sozialen Gerechtigkeit und zum Wohlergehen aller.

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