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Abbiegeassistenten retten Leben – werden aber nicht gekauft

Man kann nur mutmaßen, aber vielleicht sind einige Beschäftigte der Nutzfahrzeugsparte bei Mercedes Benz Trucks insgeheim ein wenig froh, dass sich der Fokus der medialen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit aktuell auf die Kollegen der PKW-Sparte konzentriert – und sie im „Schatten“ dieses Fokus‘ vergleichsweise ruhig ihre neuesten Ideen und Entwicklungen vorantreiben können. Zwar sind Nutzfahrzeuge stets für ein bestimmtes Zielpublikum und nicht die breite Masse interessant. Relevant sind sie jedoch für breite Teile der Gesellschaft, die sie z. B. im ÖPNV nutzen oder über sie Waren beziehen. Schon heute sorgen diese Fahrzeuge für eine große Entlastung vor allem unserer urbanen Straßen, beliefern Supermärkte täglich und sind Teil von städtischen Müll- und Reinigungsflotten. Aber damit auch Teil von einem Straßensystem, das an seiner Grenze ist. Bieten Entwicklungen der Digitalisierung Chancen, die Sicherheit im engen Stadtraum zu erhöhen? Wie werden Fahrer unterstützt und welche Rolle spielen sie vor der offiziellen Produktpräsentation? Diesen Fragen widmet sich der vorliegende Artikel am Beispiel Mercedes Benz.

Technik für mehr Sicherheit im überlasteten Straßenraum

Eines der großen und öffentlich diskutierten Konfliktfelder, das dann doch auch die Nutzfahrzeug-Sparte betrifft, sind Abbiegeunfälle vor allem in Städten. Der für den heutigen Verkehr und die unterschiedlichen Verkehrsformen nicht ausgelegte Straßenraum führt unweigerlich zu Konflikten. Unfälle mit Todesfolge sind technisch deutlich reduzierbar, das zeigen Details der aktuellen Daimler-LKW, nicht nur durch den seit 2016 eingeführten Abbiegeassistenten. Dieser minimiert als voll in die Fahrzeugarchitektur integriertes Warnsystem gefährliche Unfälle beim Rechtsabbiegen auf der Beifahrerseite, indem es die rechte Seite des Lastzugs überwacht und die Schleppkurven des Anhängers vorausberechnet. Im Display der so genannten MirrorCam werden in kritischen Fahr¬situationen die Warnhinweise im Cockpit an einem Ort gebündelt – das fokussiert die wichtigen Informationen für den Fahrer in möglichen Gefahrensituationen. Und ersetzt Haupt- und Weitwinkelspiegel. Optische und akustische Hinweise unterstützen in diesen Momenten die über zwei Nahbereichs-Radarsensoren eingefangenen und als gefährlich eingeschätzten Umgebungsdetails.

Erstmals Einbezug von Fahrern im mobilen Simulator

Seit neuestem arbeitet Mercedes hier auch eng mit Fahrern zusammen. Im Sommer war das Unternehmen z. B. mit einem Simulator auf Autobahnrastplätzen entlang zentraler Verkehrsachsen im Raum Stuttgart unterwegs, um direktes Feedback zu geplanten Features einzuholen. Bei der Simulation kamen modernste Technologien rund um virtuelle Realität mit 3D-Modellen sowie Mess-Sensoren zum Einsatz. Die Teilnehmer trugen eine elektronische 3D-Brille, in welcher sie das Lkw-Cockpit samt Fahrsituationen virtuell sehen konnten, und hielten zudem das dazugehörige Lenkrad physisch in Händen. Solche Beispiele zeigen, dass es zukünftig Normalität sein muss, diejenigen direkt in bestimmte Entwicklungsprozesse einzubeziehen, die die Fahrzeuge bewegen und Verantwortung für die Sicherheit übernehmen. Neben der Wertschätzung für ihre Arbeit geben diejenigen,die die Fahrzeuge später führen, auch wichtige Hinweise zur Weiterentwicklung. Ähnliches Vorgehen ist auch für Busse und städtische Betriebsfahrzeuge denkbar.

Lebensqualität in Städten – auch eine Frage von Luftqualität

Fahrzeuge des Nahverkehrs sind schon jetzt in Sachen Klimawirkung vorne, weil sie immer viele Menschen gleichzeitig zu ihren Haltepunkten transportieren. Das System, was wir heute „Ridepooling“ nennen, ist so alt, wie es Fahrzeuge sind. Dennoch muss sich auch dieser Anbietermarkt heute noch strengeren Vorgaben unterziehen. Dieselfahrverbote und Abgaswerte sind nur zwei Stichworte, die die Branche umtreiben. Ebenfalls wichtig ist jedoch auch die Planungssicherheit, da bei solchen Fahrzeugflotten eine Festlegung auf einen Fahrzeugtyp nicht nur für zwei Jahre, sondern sehr viel längerfristig erfolgt. Daher waren Verkehrsbetriebe und Städte zunächst auch sehr zurückhaltend bei dieser Entscheidung. Förderprogramme der jüngsten Zeit sorgten hier für Auftrieb bei den elektromobilen Konzepten. Dabei ist die im wahrsten Sinne „Reise“ von Daimler noch ergebnisoffen, neben den rein batterieelektrischen Bussen werden auch Wasserstofftechnologien getestet. Der vollelektrische Mercedes-Benz eCitaro, der am Mannheimer Standort in Serie produziert wird, ist bereit im dreistelligen Bereich vorbestellt.

„Innovationsallianz“ mit Hamburg

Berlin, Hamburg, Oslo und Ystad haben den eCitaro bereits im Linienbetrieb; Auslieferungen erfolgten auch nach Luxemburg und in die Schweiz. Die Hamburger Hochbahn AG ist für Daimler dabei zuverlässiger „Innovationspartner“ und wird nach dem eCitaro ab 2021 auch den Gelenkbus Mercedes Benz eCitaro G mit Brennstoffzelle als Range Extender im Praxiseinsatz erproben. Mit Brennstoffzelle als Range Extender wird der eCitaro je nach Fahrzeugkonfiguration und Ausstattung eine systemrelevante Reichweite von voraussichtlich bis zu 400 Kilometern erreichen. Konventionell angetriebene Stadtbusse werden so nahtlos ablösbar. Für das Jahr 2020 hat die Hamburger Hochbahn AG weitere 25 eCitaro geordert, die als niederflurige Solobusse mit modularen Batteriepaketen über eine Gesamtkapazität von bis zu 292 kWh verfügen, was einer Reichweite von rund 170 Kilometern ohne Nachladen entspricht.

Kontinuierliche Fortentwicklung

Daimler setzt in seinem Portfolio dabei auf ganzheitliche Begleitung der Implementierung dieser neuen Technologie in den Fuhrparken. Das Daimler Buses e-Mobility-Consulting-Team analysiert u. a. Linienlänge, Fahrgastaufkommen, Energiebedarf und das entsprechende Lademanagement. Auch die beteiligten Werkstätten und Fahrer werden im so genannten Omniplus eMobility-Service-Konzept einbezogen.

6 Gedanken zu „Abbiegeassistenten retten Leben – werden aber nicht gekauft“

  1. Danke für den Artikel über Mercedes. Ich habe mich nie wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt, aber mein Freund hat letztens davon gesprochen. Deswegen ist es echt gut, dass ich diesen Beitrag gefunden habe. Sehr hilfreich!

  2. Das sind sehr hilfreiche Infos! Den Artikel werde ich auf jeden Fall an meine Freundin weiterleiten. Sie wird das sicherlich auch sehr interessant finden, da sie sich auch in der Freizeit sehr für das Thema Nutzfahrzeuge interessiert.

  3. Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema Abbiegeassistenten. Interessant, dass es diese Technik schon länger gibt aber das Interesse noch verhältnismäßig klein ist. Mein Schwager arbeitet in der Transportbegleitung und fährt auch manchmal LKW und ich werde ihm die Informationen hier mal weiterleiten.

  4. Mein leider schon lange verstorbener Schwiegervater hat schon vor weit über 30 Jahren den toten Winkel besiegt, indem er modifizierte Spiegel eines anderen Großfahrzeuges des selben Herstellers an seine Sattelzugmaschinen montiert hat. Diese waren vom TÜV abgenommen und für einwandfrei befunden worden. Eine einfache und relativ günstige Modifikaiton der Sattelzugmaschinen, mit Hilfe derer der Fahrer den toten Winkel minimieren bzw. sogar ganz eleminieren konnte. Er hat sich damals mit seiner „Erfindung“ an das Fachmagazin „Verkehrsrundschau“ gewandt, welche darüber auch berichte. Auch hat er sich an die verschiedenen Hersteller gewandt: MAN, Mercedes, Scania, Volvo usw. Allerdings konnte man wohl für so eine günstige Modifikation keinen relevanten Aufpreis verlangen, weshalb keiner der Hersteller Interesse daran gezeigt hat. Es hat auch keiner die Idee aufgenommen sondern es mussten jahrzehntelang weiterhin Menschen sterben und/oder verletzt werden bis jemand eine höherpreisige Lösung gefunden hat, für welche die Hersteller nun richtig Geld nehmen können. Es ist eine Technologie-Lösung, welche nicht nur viel teurer sondern auch deutlich fehleranfälliger ist als die Busspiegel-Lösung meines verstorbenen Schwiegervaters. Aber hey, sie gibt einen Warnton von sich. Allerdings ist der Aufpreis für die jetzige Technologie-Lösung offenbar so hoch, dass niemand sie kauft. Es müssen also weiterhin Menschen sterben und/oder sie werden verletzt. Ist das nicht ein Irrsinn?

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