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Gesellschaftlicher Wandel braucht Emotion und Diskurs

In diesen überinformierten und zugleich undurchschaubar wirkenden Zeiten habe ich das Gefühl, dass wir kaum noch miteinander sprechen. In anderen Kulturen gibt es Debattierclubs, die schon in der Schule die Grundlage des verbal wertschätzenden Austauschs legen. Auch ich bin Fan, kontroversen Meinungen zu begegnen und meine Argumente daran zu messen. Doch dazu kommt es kaum noch. Es ist nur noch „laut“​ oder es wird gekuschelt. Dabei ist es für mich an der Zeit, zu sagen: Lasst uns den privat besessenen PKW durch Alternativen überflüssig machen. Doch den Weg möchte ich gestalten. Mit Menschen, die nicht meiner Meinung sind. Doch ich komme nicht in den Dialog. Weil sofort „gebrüllt“​ wird.

Wir bewegen uns auf Kongressen, die sich mit dem Wandel beschäftigen. Sprechen dort über New Work und neue Formen der Zusammenarbeit. Wir besuchen Summits zur neuen Mobilität, fahren elektrisch betriebene Klein- und Großfahrzeuge mit großer Begeisterung Probe. Wir hören Politikern zu, die versprechen, nicht mehr nur das Auto fördern zu wollen. Und dann kehren wir alle in unsere Büros zurück und stellen nach ein paar Wochen fest: Soviel ändert sich nicht. Und das eigentlich auch schon seit Jahren. Der Mobilitätswandel hat wie vielleicht jeder Wandel aktuell ein großes Manko: Wir setzen uns nicht wirklich auseinander. Wir scheuen den Diskurs. Wir verlassen unsere Silos nicht nachhaltig genug. Wandel ist Schmerz, weil erfolgreicher Wandel nur geschehen kann, wenn lieb gewordene Trampelpfade verlassen werden. Wie aber lernen wir wieder, Diskurs gern zu haben und wertzuschätzen? Diversität in Meinungen und Ansätzen zu suchen, weil nur dort das Wachstum neuer Ideen entsteht?

Wandel ohne Feedback? Nicht machbar.

Sind Sportler:innen erfolgreich ohne anstrengend zu sein?
Wandel heißt, sich sehr viel Mühe machen. Anstrengend sein und Anstrengendes aushalten. Und die Komfortzone verlassen. Das waren bei mir zum Beispiel spontane Feedbacks von Personen, auf deren Meinung ich Wert lege – und die mir natürlich auch nicht nur gefielen. Wer wird schon gern kritisiert? Aber echtes Feedback lässt uns reflektieren. Das eigene Handeln überprüfen. Leider ist es SO selten geworden, weil wir alle nur noch kuschelnd auf der Stelle treten. Diskurs scheinen wir zu vermeiden. Weil wir ihn mittlerweile mit „Streit“ verwechseln?

Wandel ohne Unsicherheit? Nicht machbar.

Wandel beinhaltet immer auch Unsicherheit auf unbekanntem Terrain.
Schon lange sagen uns Menschen, das geht nicht so weiter. Schon in den Siebzigern waren die Grenzen des Wachstums im Club of Rome Thema. Dennoch hat sich nichts geändert. 2017 war das erste Jahr mit mehr als einem PKW je Haushalt in Deutschland.

Die Zulassungszahlen steigen. Auch, weil mehr Frauen arbeiten (was erfreulich ist), Wege zwischen Job und Wohnort länger und unser Freizeitverhalten komplizierter wird. Es ist schließlich alles möglich. Aber müssen wir auch alles tun? Uns fallen viele Ausreden ein, nichts zu ändern, weil wir

  • alleine nichts ausrichten können (das kann nur „die Politik“),
  • u. a. in China Hunderte Kohlekraftwerke existieren und
  • erstmal die Tanker auf den Weltmeeren weniger Emissionen ausstoßen müssten.

Wir lenken ab mit größeren und kleineren Nebelkerzen vor der Verantwortung, die uns als Mensch vor der Haustür agieren lässt: Indem wir für andere mit Verantwortung übernehmen. Wir wollen kuscheln in unserer Komfortzone, ggf. mal hinter der Hand Kritik üben – aber bitte keinen Klartext sprechen. Auch im Mobilitätswandel umhuscheln Politiker:innen penetrant die konsequente Aussprache dessen, was immer offensichtlicher wird: Der Wandel kann nur geschehen, wenn die Privilegierung des privaten PKW beendet wird. So, jetzt ist es raus: Ich bin im Team . Ich kann das auch sein, weil ich nicht abhängig bin – und mir dieser Ansatz als einzig logischer eben auch aussprechbar erscheint. Manch einer scheut diese Ehrlichkeit, weil er einen Aufstand der Gelbwesten fürchtet, andere stehen in Schuld von Lobbyverbänden, wieder andere arbeiten in Industrien, die abhängig sind von hohen Umsatzzahlen der PKW-Industrie. Und ja: Auch dieser Wandel muss weh tun, wenn er erfolgreich sein will. Sonst ist er kein Wandel, sondern ein laues Lüftchen.

Was aber geschieht mit Menschen, die diese klaren Worte aussprechen?

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Sie landen im Sturmfeuer der medialen und gesellschaftlichen Empörung. Ich habe in einer meiner Freitagsfragen bei Twitter nach Erfahrungen anderer gefragt. Und ja: Vor allem viele Frauen kannten dieses Phänomen, einige wenige Männer berichteten, dass ihnen genau das Gegenteil vorgeworfen werde. Daher frage ich mich: Wo sitzt die Henne, wo liegt das Ei? Wie gehen wir mit jenen um, die durch „Klartext“ aussprechen, was gemacht werden muss, wo das Ziel liegt – die aber den Weg erst noch gestalten müssen. Denn natürlich lässt sich so ein fantastisch anmutendes Ding wie ein PKW im Privatbesitz nicht ad hoc ersetzen. Aber: Haben wir wirklich die Zeit, erst massiv die Alternativen zu entwickeln? Denn auch die Gestalter neuer Mobilitätsformen kranken ja an der Symptomatik, in der eigenen Echokammer zu verbleiben – und damit Veränderungskraft aufzugeben.

Verhältnismäßigkeit ging verloren – wie stellen wir diese wieder her?

Die Verhältnismäßigkeit vor allem auf der urbanen Straße muss wiederhergestellt werden. Natürlich ist das Thema komplex, aber eines ist für mich sicher: Der privat besessene und von 1,5 Menschen statistisch 45 Minuten genutzte PKW im Privatbesitz ist überdenkenswert. Er ist technisch ein Wunderding – ich drehe einen Schlüssel um, schon ist meine Mobilität vorhanden. Das erste Auto, das 1879 am Silvesterabend fuhr, ein Benziner von Carl Benz, war bezeichnenderweise ein Zweisitzer, also ein zeitloses Modell, wenn wir die statistisch nachgewiesene Mobilität betrachten. Dennoch richten wir unsere PKW am „worst case“ aus. Der Urlaubsfahrt nach Italien, dem Umzug, vier Wasserkisten (warum überhaupt kaufen wir noch Wasser? Das aber ist ein anderes Thema). Was macht uns so unsicher, hier Verzicht zu üben, der ja eigentlich keiner ist, weil wir das Auto kaum bewegen? Warum ist es so schwierig, darüber sprechen zu wollen, ohne dass Unterhaltungen im ersten Schritt schon eskalieren?

Ich freue mich SEHR, wenn Sie mir hier Ihre Gedanken mitteilen. Ich sehe keine andere Möglichkeit, Raum für alle zu gewinnen, Raum für nachhaltige Mobilitätsformen zu schaffen, gesunde Luft rückzugewinnen und die Stadt vor allem für jene, die dort leben, wieder lebenswert zu gestalten, ohne die preisliche und räumliche Exklusivität des privaten PKW zu hinterfragen. Er parkt umsonst im öffentlichen Raum. Ist das noch zeitgemäß? Das sind Fragen, die mich beschäftigen, die ich aber – kaum ausgesprochen – nicht weiter entwickeln kann, weil Diskurs nicht entsteht. So zumindest deute ich die Reaktionen auf meine Fragen. Ich mag auf dem falschen Weg sein, doch auch darüber würde ich mich dann gerne austauschen.

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